Seit den 1990er Jahren haben Sprachwissenschaftler:innen zunehmend die Vorteile von mehrsprachigen statt einsprachigen Ansätzen im Sprachunterricht hervorgehoben (Hall & Cook, 2012). Ein Grund dafür ist der soziokulturelle Paradigmenwechsel (“sociocultural turn”), der die Aufmerksamkeit auf die sozialen, kulturellen, politischen und ideologischen Prozesse lenkt, die der Sprachaneignung zugrunde liegen, und nicht nur auf die psycholinguistischen Prozesse (Douglas Fir Group, 2016; Johnson, 2006). Dieser Paradigmenwechsel hat Konzepte wie Multikompetenz (Cook, 2013), Plurilingualismus (Piccardo, 2018) und Translanguaging (Garcia & Wei, 2014) hervorgebracht, die die Fähigkeit der Menschen hervorheben, effektiv und angemessen zu kommunizieren, indem sie auf Ressourcen aus mehreren Sprachen zurückgreifen (Canagarajah 2011; Horner et al., 2019). Darüber hinaus haben frühere Konzepte wie die Common Underlying Proficiency (Cummins, 1981) und das Languaging (Swain & Watanabe, 2012) gezeigt, dass die Nutzung der bereits erworbenen sprachlichen Kenntnisse der Lernenden ihnen helfen kann, auf ihre vorhandenen Schemata zurückzugreifen und sich leichter an metalinguistischen Diskussionen zu beteiligen (Swain et al., 2009), und zwar sowohl im allgemeinen Sprachunterricht als auch im inhaltsorientierten Sprachunterricht (Lin, 2016).
In der Praxis des Fremdspracheunterrichts haben Lehrpersonen jedoch berechtigte Bedenken hinsichtlich der Verwendung anderer Sprachen im Unterricht. Ist es nicht zu viel des Guten, wenn dadurch das Erlernen der Zielsprache behindert wird? Was ist mit standardisierten Tests? Was ist, wenn die Lehrperson nicht alle Sprachen der Lernenden beherrscht, und was ist, wenn die Schüler:innen das Privileg, ihre Erstsprache zu verwenden, missbrauchen? Was ist mit Sprachen, die nicht von der gesamten Klasse gesprochen werden? Würden sich die Leute wohl fühlen, wenn sie Sprachen verwenden, die in der Gesellschaft Diskriminierung oder sogar offener Feindseligkeit ausgesetzt sind (Allard et al., 2023; Charalambous et al., 2016)? Selbst wenn Lehrpersonen offen für den bilingualen bzw. mehrsprachigen Sprachunterricht sind, fühlen sie sich möglicherweise nicht in der Lage, ihn systematisch und prinzipienorientiert durchzuführen.
Diese Babylonia-Ausgabe befasst sich mit den Problemen, mit denen Sprachlehrpersonen täglich konfrontiert sind. Wir laden Sie zu Beiträgen bezüglich folgender Fragen ein:
Spracherwerb
- In welchem Umfang unterstützen bilinguale bzw. mehrsprachige pädagogische Ansätze im Sprachunterricht den Erwerb weiterer Sprachen? Welche empirischen Belege gibt es für die Kosten bzw. Vorteile von einsprachigem bzw. mehrsprachigem Unterricht?
- In welchem Umfang ist der bilinguale bzw. mehrsprachige Unterricht in den frühen Phasen des Erlernens einer Fremd- bzw. Zweitsprache unerlässlich? In welchem Umfang nutzen fortgeschrittene L2-/LX-Nutzer:innen ihre Erstsprache(n) weiterhin in der akademischen und beruflichen Arbeit?
Sprachpädagogik
- Wie kann man mit geringerem Kontakt mir der Zielsprache umgehen? Inwieweit ist dies auf die Verwendung von L1/LX zurückzuführen? Was ist notwendig, um die mangelnden Sprachkontakt zu kompensieren, wenn es um die Sprachkompetenz der Lehrpersonen und didaktische Kenntnisse geht?
- Wie können Lehrpersonen pädagogisches Translanguaging/plurilinguale Pädagogik in Klassen anwenden, in denen die Schüler:innen unterschiedliche Erstsprachen sprechen und/oder wenn die Lehrpersonen die Sprachen der Schüler:innen nicht beherrschen?
- Gibt es empirische Belege dafür, dass pädagogisches Translanguaging/plurilinguale Pädagogik den Schüler:innen hilft, bestimmte Kompetenzniveaus (die in den Lehrplänen der Schulen/Bildungspolitiken vorgeschrieben sind) zu erreichen? Wie können wir beispielsweise mehrsprachige Aktivitäten nutzen, um die Leistungen der Schüler:innen bei standardisierten Tests oder kriterienbasierten Bewertungen zu verbessern?
Sprachrechte und -pflichten
- Wie können Lehrpersonen eine inklusive, nicht-verurteilende Klassenkultur schaffen und aufrechterhalten, in der sich alle Schüler:innen – einschliesslich der Zweit-/Fremdsprachler:innen, der Erstsprachler:innen oder der Dialektsprecher:innen – wohl fühlen, ihre vorhandenen Sprachkenntnisse zur Erweiterung ihres Sprachrepertoires einzusetzen?
- Welche Möglichkeiten gibt es, um gegen sprachliche, kulturelle, religiöse, rassistische oder ethnische Vorurteile vorzugehen, die in der Schule oder in der weiteren Gemeinschaft verbreitet sind und die das Zugehörigkeitsgefühl der Schüler:innen und ihre Bereitschaft, sich mit der Schule auseinanderzusetzen, beeinträchtigen?
- Inwieweit ist es sinnvoll, in der Schule auf regionale, indigene und Stammessprachen als Lernressourcen zurückzugreifen? Welche potenziellen Rollen können sie spielen?
Babylonia ist auch offen für andere Ideen.
Empirische Beiträge (Forschungsprojekte, Aktionsforschung) sowie praktische Beiträge (Unterrichtsmaterialien, Übungen, Good Practices) und Positionierungen zum Thema (Positionspapiere, Interviews etc.) sind willkommen. Babylonia bevorzugt eine klare und leicht verständliche Sprache. Länge des Beitrags: 16.000-20.000 Zeichen inkl. Leerzeichen (4-5 Seiten). Vgl. Checkliste zur Vorbereitung des Beitrags.
Bitte senden Sie Abstracts (max. 2.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch oder Englisch bis zum 1. Dezember 2025 an annamend@illinois.edu und amelia.lambelet@hepl.ch.
Fristen
- Einreichung von Abstracts: 1. Dezember 2025
- Mitteilung der Annahme: Januar 2026
- Einreichung der Artikel (max. 16.000 Zeichen inkl. Leerzeichen, 4 Seiten, weitere Details siehe unsere Website): 30. April 2026
- Feedback der Redaktion zum Artikel, Überarbeitungen
- Einreichung der Endfassung: 1. September 2026
- Korrekturlesen und Layout
- Veröffentlichung des Ausgabe: Dezember 2026
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