Beim Übergang vom Seminar zur Pädagogischen Hochschule musste sich die Fremdsprachendidaktik als Disziplin neu positionieren. Doch wo steht die in der Schweiz relativ junge Disziplin? Woran orientiert sie sich? Das CeDiLE hat mit den beiden Herausgeberinnen Martina Zimmermann und Jésabel Robin über den vor Kurzem erschienenen Sammelband gesprochen. Ein Interview.
Vergleicht man die Fremdsprachendidaktik in der Schweiz mit derjenigen in den Nachbarländern, so fällt laut den beiden Herausgeberinnen des Sammelbandes « La didactique des langues dans la formation initiale des enseignant.e.s en Suisse : quelles postures scientifiques face aux pratiques de terrain ? Fremdsprachendidaktik in der Schweizer Lehrer*innenbildung: an welchen wissenschaftlichen Positionen orientiert sich die Praxis?» auf, dass es sich in der Schweiz um eine relativ junge Disziplin handelt. Im Vergleich zu Deutschland, Frankreich oder Italien, wo die Disziplin seit Jahrzenten besteht, ist sie in der Schweiz erst etwa 20 Jahre alt. Prof. Dr. Martina Zimmermann, assoziierte Professorin an der HEP Vaud, und Prof. Dr. habil. Jésabel Robin, Professorin an der PHBern, haben diese junge Geschichte zum Anlass genommen, sich Gedanken über die wissenschaftliche Orientierung der Pädagogischen Hochschulen in der Schweiz zu machen. In diesem Podcast sprechen sie über die Inhalte des Sammelbandes, der Beiträge auf Deutsch, Französisch und Englisch beinhaltet.
Der Sammelband verfolgt zwei Ziele: Einerseits soll er epistemologische Ansätze aufzeigen, die an verschiedenen Institutionen verfolgt werden, andererseits widmet er sich der historischen Komponente und der folgenden Frage: Wo steht die Fremdsprachendidaktik heute und wieso ist sie da, wo sie jetzt ist?
« Je crois que les débats épistémologiques sont légitimes et sont même nécessaires à la scientificité, à la vitalité, à la bonne tenue, finalement à l’hygiène scientifique des HEP.
Jésabel Robin
Tertiarisierung und Autonomisierung der Fremdsprachendidaktik
Die Tertiärisierung einer Disziplin bringt nicht zwangsläufig eine Autonomisierung mit sich. An der PHBern sind beispielsweise drei Schwerpunkte beim Studium zur Lehrperson zentral: Berufspraktische Ausbildung, Erziehung und Sozialwissenschaften sowie Fachdidaktik/Fachwissenschaften. Die Didaktiken werden somit systematisch an ein (bereits etabliertes und legitimes) Fach gekoppelt. Zum Beispiel werden die Fremdsprachendidaktiken nicht ausserhalb des Lernens der jeweiligen Sprache konzipiert. Sie sind ihm untergeordnet. Darüber hinaus bedeutet Tertiärisierung nicht automatisch eine wissenschaftliche Legitimierung der Didaktik. Die Pädagogischen Hochschulen sind zwar für die Fachdidaktik zuständig, können aber keine Doktortitel oder Habilitationen wie die Universitäten verleihen.
Doch welche verschiedenen Epistemologien gibt es überhaupt und welche sind für Lehrpersonen zentral? Betrachtet man das benutzte Vokabular in den Beiträgen, wird klar, dass es auf der einen Seite um «task-based learning», um den GER, um die Effizienz, um die Evaluation und um den wirtschaftlichen Aspekt beim Sprachenlernen geht. Auf der anderen Seite wird ein Vokabular verwendet, das sehr stark an die Sozialwissenschaften angelehnt ist. Der vielfältige Leistungsauftrag der PHs führt dazu, dass verschiedene Aufgaben zentral sind (u.a. Forschung, Lehre, Dienstleistungen), die unterschiedliche epistemologische Ansätze mit sich bringen. Nicht in allen Leistungsaufträgen kommen also die gleichen Konzepte zum Tragen.
Die Frage nach den Unterschieden
Die Frage, ob Unterschiede zwischen den verschiedenen Sprachregionen ausgemacht werden können, kann nicht abschliessend beantwortet werden. Die Geschichte in den verschiedenen Sprachregionen hat jedoch einen Einfluss darauf, was gerade diskutiert wird, weil die sprachpolitischen Bedingungen unterschiedlich sind.
Es herrscht immer noch die Vorstellung, dass Didaktik dazu da ist, Rezepte zu liefern.
Martina Zimmermann
Auch zwischen den verschiedenen Institutionen herrschen trotz der Harmos-Bestrebungen zum Teil grosse Unterschiede. Es stehen zum Beispiel unterschiedliche Ressourcen für Forschungsarbeiten zur Verfügung und die Aufgaben, welche den Pädagogischen Hochschulen zufallen, unterscheiden sich von Kanton zu Kanton. So müssen im Kanton Graubünden etwa Lehrmittel für das Italienische und die verschiedenen Idiome des Rätoromanischen entwickelt werden.
Zusammenfassend meinen die Herausgeberinnen, dass das Stadium der «Didaktologie» noch nicht erreicht sei. Darunter ist das Stadium einer Metareflexion über die Didaktik und ihre Funktionsweise zu verstehen. Laut Jésabel Robin braucht es dazu einen Aufbau und eine Legitimierung der Wissenschaftlichkeit der Sprachendidaktik an den Pädagogischen Hochschulen.
5. Tagung der Fachdidaktiken
Im Podcast kommen Jésabel Robin und Martina Zimmermann auch auf die 5. Tagung der Fachdidaktiken zu sprechen, welche im April 2022 in Locarno stattfand, und im Verlauf derer die zwei Herausgeberinnen des Sammelbandes zu einem mehrsprachigen Symposium eingeladen haben. In diesem Symposium ging es darum, auf die Entwicklungen seit dem Verfassen der Texte für den Sammelband einzugehen und die aktuellen wissenschaftlichen Ausrichtungen der Sprachdidaktik in der Schweiz zu diskutieren.
Zahlreiche Facetten, viele verschiedene mögliche Stossrichtungen
Der Sammelband möchte schliesslich dafür sensibilisieren, dass Didaktik unterschiedliche Facetten hat und es gerade auch in der Fremdsprachendidaktik viele verschiedene Ansätze gibt. Die Herausgeberinnen laden uns mit ihrem Sammelband dazu ein, darüber nachzudenken, in welche verschiedenen Richtungen es für die Fremdsprachendidaktik gehen könnte. An Ideen für die Weiterarbeit mangelt es Martina Zimmermann und Jésabel Robin auch nach der Veröffentlichung des Sammelbandes indes nicht: Sie haben bereits Ideen für ein neues Publikationsorgan und überlegen, ob im Rahmen einer weiteren didaktischen Tagung aktuelle Konzepte diskutiert und weiterentwickelt werden könnten.
Literaturangaben zum Sammelband:
Robin, J., et Zimmermann, M. (Eds.). (2022). La didactique des langues dans la formation initiale des enseignant.e.s en Suisse : quelles postures scientifiques face aux pratiques de terrain? Fremdsprachendidaktik in der Schweizer Lehrer*innenbildung : an welchen wissenschaftlichen Positionen orientiert sich die Praxis?. Bruxelles, Berlin, Bern, New York, Oxford, Warszawa, Wien, Bern: Peter Lang.
Vielen Dank für die Möglichkeit und Realisation dieses ausgezeichneten Podcasts. Die hervorragend geführte Diskussion und die klaren Aussagen von J. Robin und M. Zimmermann erlauben einen Überblick zu erhalten über die bisherige Entwicklung der (Fremd)Sprachendidaktik als eigenständige Disziplin In der Schweiz und die „rückständige“ Situation der PHs/HEPs im europäischen Kontext. Die Diskussion stellt die Beiträge im Buch in einen klärenden Zusammenhang.
PS Ich habe das Buch gelesen und war auch in Locarno.