Auf der Suche nach Parallelwörtern

CeDiLE: Was sind Parallelwörter?

Nina Müller: Der in den Lehrwerken verwendete Begriff Parallelwörter umfasst Wörter, welche in der Linguistik als Kognaten bezeichnet werden. Ein Wort besteht aus einer Form (Aussprache und Schreibweise) und einer damit assoziierten Bedeutung. Ein Wortpaar in zwei Sprachen – in der Tabelle 1 mit deutschen und englischen Beispielen – kann sich dabei auf verschiedene Arten überlappen (adaptiert von Jarvis, 2009, S. 107–108):

Tabelle 1

Als Parallelwörter werden echte Kognaten und Teilkognaten bezeichnet – also Wörter, welche sowohl inhaltliche als auch formale Aspekte teilen. Diese Ähnlichkeiten sind zum Teil aus der historischen Entwicklung entstanden – wie vom Indoeuropäischen duwo über die erste Germanische Lautverschiebung d-t zum englischen two und die zweite Germanische Lautverschiebung t-z zum deutschen zwei. Manchmal sind es aber auch Wörter, die aus anderen Sprachen übernommen wurden, wie Computer oder Restaurant. Dies ergibt insgesamt eine grosse Basis, die wir beim Lernen insbesondere einer verwandten Sprache nutzen können.

Daneben gibt es aber auch täuschende Kognaten, auch bekannt als falsche Freunde. Die Grenzen zwischen einem «guten» und «falschen» Freund sind oft schwammig. Objektiv kann man zwar bestimmen, ob ein Wortpaar als Parallelwort gelten soll, indem man berechnet, wie viele Buchstaben sich ändern. Für das Fremdsprachenlernen ist jedoch die individuelle Wahrnehmung des Lernenden entscheidend: Kann ein Kind die Ähnlichkeit zwischen Pinsel und pencil erkennen und nutzen – oder führt die etwas unterschiedliche Bedeutung eher zu Verwirrung, wodurch es die Ähnlichkeit vielleicht gar bewusst ignoriert?

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Seminararbeit darüber zu schreiben?

Für ein Seminarprojekt habe ich mehrsprachigkeitsdidaktische Aufgaben im Lehrmittel New World 1 (Arnet-Clark et al., 2013) analysiert, die die SchülerInnen dazu anregen, ihr bereits vorhandenes Sprachwissen gezielt zu nutzen, um den Prozess des Fremdsprachenlernens zu vereinfachen und beschleunigen. Dabei habe ich festgestellt, dass die SchülerInnen zwar oft dazu animiert werden, Parallelwörter für das Leseverständnis zu nutzen, aber nicht genau erklärt wird, was Parallelwörter sind und woran sie diese erkennen können. Aufgrund der zuvor beschriebenen schwammigen Grenzen habe ich mich daher gefragt, wie die SchülerInnen diese Strategie konkret umsetzen.

Gibt es viele empirische Studien über Parallelwörter?

Der Umgang von Kindern mit Parallelwörtern im Fremdsprachenunterricht wurde bisher meines Wissens nicht untersucht. Mehrere Studien mit Kindern von spanischsprachigen Einwanderern in den USA zeigten, dass SchülerInnen mit einem hohen (!) Bewusstsein für Parallelwörter bessere Ergebnisse in Wortschatz- und Leseverständnistests erzielen (u.a. Dressler et al., 2011; Nagy et al., 1993). Einige Studien gibt es auch zur Interkomprehension, d.h. dem Erschliessen von losgelösten Wörtern oder auch kurzen Texten in einer unbekannten, aber nahe verwandten Sprache, wie Schwedisch bei Deutschsprachigen (u.a. Lambelet & Mauron, 2017; Vanhove & Berthele, 2015). Wie bei den Studien mit bilingualen Kindern zeigten sich grosse individuelle Unterschiede, und Kinder hatten mehr Mühe als Erwachsene, Wörter korrekt zu erschliessen.

Parallelwörter im Fremdsprachenunterricht liegen irgendwo dazwischen: Die FünftklässlerInnen in den Passepartout-Regionen können auf meist muttersprachliche Deutschkenntnisse, ein kleines Französisch-Repertoire aus dem 3./4. Schuljahr und einige Englischbrocken aus dem Alltag zurückgreifen. Somit ist die Sprache nicht komplett neu wie bei den Studien zur Interkomprehension, aber auch noch nicht so vertraut wie für die hispanischen Kinder, welche in den USA immersiv aufwachsen.

Wie haben Sie Ihre eigene empirische Studie durchgeführt?

Insgesamt haben knapp 150 SchülerInnen aus 12 verschiedenen Klassen der Kantone Basel-Land, Bern und Solothurn teilgenommen – an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die engagierten Lehrpersonen und FünftklässlerInnen. Als Basis diente ein Textausschnitt aus dem Activity Book des Lehrmittels New World 1 (Arnet-Clark et al., 2013, S. 31). Dabei handelt es sich um eine englischsprachige Passage über ein Gemälde von Pablo Picasso, in der viele Parallelwörter vorkommen. Die TeilnehmerInnen lasen zuerst den Text leise individuell und fassten dann kurz auf Deutsch zusammen, was sie davon verstanden. Dann definierten sie den Begriff Parallelwörter und/oder gaben Beispiele dafür. Anschliessend markierten sie im Text alle Wörter, die ihrer Meinung nach Parallelwörter sind, und beschrieben zum Schluss, aus welcher Sprache sie das Wort herleiteten und was es auf Deutsch bedeutet.

Und was sind die Ergebnisse Ihrer Seminararbeit?

Nur wenige Teilnehmende konnten das Konzept von Parallelwörtern vollständig definieren. Am häufigsten beschrieben die Lernenden, dass die Wörter gleich oder ähnlich klingen, was überraschend war, da die Parallelwörter-Strategie vor allem im Rahmen von Leseverständnisaufgaben geübt wird.

Die Teilnehmenden erkannten vor allem bereits gelernte Wörter wie father und name. Neue Wörter wurden nicht nur seltener markiert – durchschnittlich knapp 9 von 50 Wörtern –, sondern auch weniger oft korrekt übersetzt. Diese Beobachtungen stehen im Widerspruch zur Annahme, dass SchülerInnen Parallelwörter mehrheitlich für das erfolgreiche Erschliessen von unbekannten Wörtern nutzen (können). Die Bezugssprache war meistens Deutsch, bei über der Hälfte der Kinder ausschliesslich. Französisch nutzten 40% der Teilnehmenden, vor allem bei Wörtern wie colour oder circle, für welche es kein deutsches Parallelwort gibt. Das französische Sprachniveau scheint ein entscheidender Faktor zu sein und war vermutlich bei einigen FünftklässlerInnen nach nur zwei Jahren Unterricht noch nicht ausreichend für den Transfer auf neue Englischwörter. Die Bezugssprachen Deutsch und Französisch führten in knapp 90% der Fälle zur erfolgreichen Übersetzung, während Wörter mit anderen Bezugssprachen (z.B. Italienisch) nur zu einem Drittel richtig übersetzt wurden. Mehrsprachige Kinder können somit zwar auf eine vielfältigere Wortschatzbasis zurückgreifen, stehen aber auch vor der Qual der Wahl hinsichtlich der passenden Bezugssprache und des jeweiligen Parallelwortes.

Fazit: Machen Parallelwörtern das Lernen einer L2 oder L3 wirklich einfacher?

Das ist sehr pauschal formuliert. Parallelwörter können – sofern sie richtig identifiziert werden – beim Verstehen einer verwandten Sprache hilfreich sein und somit das Hören oder Lesen in einer Fremdsprache, sowie das Vokabellernen unterstützen. Ihre Wahrnehmung ist jedoch subjektiv. Es gibt gewisse Regelmässigkeiten, zum Beispiel t-s zwischen Englisch und Deutsch wie bei water-Wasser oder foot-Fuss. Aber ob solche Regeln den Lernenden helfen können, bleibt zu erforschen.

Im Unterrichtsalltag werden die verschiedenen Strategien zum Erhöhen des Textverständnisses oft vermischt: Die SchülerInnen werden dazu angeregt, alles im Text zu markieren, was sie aus dem Kontext, bereits gelerntem Wissen oder aufgrund von Parallelwörtern verstehen. Daher war die Aufgabe für die Teilnehmenden etwas ungewohnt. Dennoch zeigten die Ergebnisse deutlich, wie unterschiedlich erfolgreich Kinder Parallelwörter momentan nutzen. Das Missverständnis des Wortes see als Deutsch See statt sehen führte beispielsweise bei einem Kind zu einer sehr lebhaften Beschreibung eines Badeausflugs. Andererseits gab es Lernende, welche erfolgreich verschiedene Sprachkenntnisse nutzen konnten und dadurch sowohl painting über das französische peinture als auch background über die Analogie zu foreground mit dem deutschen Vordergrund erschlossen.

Hat Ihre Untersuchung einen Einfluss auf Ihre eigene Fremdsprachenunterrichtspraxis?

Ja, auf mehreren Ebenen. Einerseits habe ich persönlich viel Theoretisches über sprachliche Ähnlichkeiten gelernt. Andererseits ist mir bewusst geworden, wie unterschiedlich diese wahrgenommen werden. Als Lehrperson frage ich mich natürlich, wie ich das Bewusstsein der Lernenden für solche Ähnlichkeiten fördern kann – dieser Frage gehe ich in meiner Masterarbeit nach.

Sie waren auch mehrere Jahre als Primarlehrerin tätig. Was würden Sie LehrerInnen empfehlen in Bezug auf die Verwendung von Parallelwörtern im Fremdsprachenunterricht?

Eine wichtige Basis ist das eigene Wissen über sprachliche Ähnlichkeiten, damit man die SchülerInnen gezielt darauf aufmerksam machen und weitere Beispiele aufzeigen kann. Die verschiedenen Aspekte von Wörtern – Aussprache, Schreibweise und Bedeutung – können auch problemlos mit Kindern diskutiert werden. Als Sprachdetektive systematische Ähnlichkeiten zu entdecken, bereitet den Lernenden Spass und bietet einen anderen Zugang zum Sprachenlernen. Das Austauschen von Beobachtungen ist dabei wichtig und wertvoll, gerade weil die Trennung zwischen hilfreichen und verwirrenden Ähnlichkeiten so subjektiv wahrgenommen wird.

Literatur

Arnet-Clark, I., Frank Schmid, S., Ritter, G., & Rüdiger-Harper, J. (2013). New World 1. English as a Second Foreign Language. Klett & Balmer Verlag.
Dressler, C., Carlo, M. S., Snow, C. E., August, D., & White, C. E. (2011). Spanish-speaking students’ use of cognate knowledge to infer the meaning of English words. Bilingualism: Language and Cognition, 14(02), 243–255.
Jarvis, S. (2009). Lexical transfer. In A. Pavlenko (Hrsg.), The Bilingual Mental Lexicon: Interdisciplinary Approaches. Multilingual Matters.
Lambelet, A., & Mauron, P.-Y. (2017). Receptive multilingualism at school: An uneven playing ground? International Journal of Bilingual Education and Bilingualism, 20(7), 854–867.
Nagy, W. E., García, G. E., Durgunoğlu, A. Y., & Hancin-Bhatt, B. (1993). Spanish-English bilingual students’ use of cognates in English reading. Journal of Reading Behavior, 25(3), 241–259.
Vanhove, J., & Berthele, R. (2015). The lifespan development of cognate guessing skills in an unknown related language. International Review of Applied Linguistics in Language Teaching, 53(1), 1–38.

Photo by Jelleke Vanooteghem on Unsplash

1 commentaire

  1. I tell my pre-service primary school teachers to NOT focus on cognates because this is an over-used strategy and doesn’t help learners to learn how to cope with what they DO NOT understand and the focus is too much on single words and not on comprehension of sentences – am I wrong? I see too many teachers only focusing on « See – there are so many similarities between English and German » and then the kids become lazy! This idea came from skimming this book and an earlier version of it:
    Macaro, E., Graham, S., & Woore, R. (2015). Improving foreign language teaching: Towards a research-based curriculum and pedagogy. Routledge.
    What do you think?

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