Es geht nicht um den nationalen Zusammenhalt | Die Einführung von Französischlektionen in deutschschweizerischen Gymnasien im 18. Jahrhundert

Wegen des Coronavirus wurde der Vortrag von Gabriela Ochsner Janibelli (Uni Zürich) am 30. März abgesagt. Das CeDiLE holt diese Sitzung nach und schlägt euch ein Interview und eine Lektüre vor. Diese zwei Inputs erklären die Anfänge des Französischunterrichts im deutschsprachigen Kontext des 18. Jahrhunderts. Sie bringen didaktische sowie politische und philosophische Themen ans Licht, die noch heute diskutiert werden.

Dans ce 5e podcast, Gabriela Ochsner Janibelli raconte l’histoire fascinante des débuts du français dans les écoles germanophones de Bâle. On y apprend notamment qu’il ne s’agissait pas de renforcer le sentiment de cohésion nationale avec les voisin·e·s romand·e·s au XVIIIe siècle, mais de redéfinir le rôle de l’éducation dans la société de l’époque. Cet entretien passionnant revient sur les événements historiques et les discussions philosophiques, politiques et économiques qui ont façonné le rôle et la place de la langue française à l’école dans un pays en pleine transformation.

Podcast n°5: L’introduction du français dans les gymnases / lycées de Bâle, entretien avec Gabriela Ochsner Janibelli (via Teams)

Fonds sonores extraits de BBC Sound Effects (Tous droits réservés à la BBC, 2018)


Der Französischunterricht kommt zwischen 1770 und 1815 in die deutschen Staatsschulen – ein Überblick.

von Yann Hengevoss (Master-Studierende im Fremdsprachendidaktik @UniFr)

Vor der französischen Revolution orientierte sich der europäische Adel kulturell an den Gebräuchen des französischen Hofs. Er sprach und orientierte sich am Hoch-Französisch. Dies förderte den literarischen, kulturellen und den sprachlichen Austausch, sodass in vielen Bereichen der Diplomatie, des Militärs, aber auch der Wirtschaft, der Publizistik und dem internationalen Verkehr französisch nicht wegzudenken war.

Die Französische Revolution und die darauffolgende napoleonische Ära hinterliessen ihre Spuren in ganz Europa. Die Ideale der Aufklärung wurden umgesetzt. Mit einer neuhumanistischen Bildung wollten sich die Menschen von ihren Traditionen sowie Normen befreien und sich von der menschlichen Vernunft leiten lassen. In Deutschland wurde im Gegensatz zu Frankreich die Aufklärung auch vom Adel mitgetragen und sah eher eine Aufklärungskultur vor, die vom Bürgertum dann mitgelebt wurde. Die Handels-, und Universitätsstädte prägten demnach diese Kultur.

Französischunterricht in der neuhumanistischen Bildung

Die Verbesserung der Gelehrtenschulen wurde zu einem zentralen Thema neuhumanistischer Bildung. Ziel war es die Jugend zu einer Leistungsgesellschaft zu formen und zu sozialisieren. Nebst dem Einüben von Ordentlichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin galt es die sozialen Unterschiede zu erhalten und teilweise zu verstärken. Für letzteres spielte Französisch die ausschlaggebende Rolle. Es galt die französische Kultur zu verinnerlichen, da sie als prestigeträchtig galt. Die bürgerlichen Absolventen der Gelehrtenschulen erhielten damit die Möglichkeit sich mit dem Adel auszutauschen und sich von der niedrigeren Klasse abzuheben.

Der Französischunterricht wurde aufgewertet. Französisch lernen wurde mit Logik und gedankliche Disziplin gleichgesetzt. Französisch sollte als moderne Fremdsprache wahrgenommen werden, die sich von Latein und Griechisch unterschied. Der Unterricht fand unter dem «approche contextuelle»(Kuhfuss 2014:507) statt, was zu dieser Zeit ein grosses Novum war. Es soll vermittelt werden, was dem Französischlernenden von Nutzen ist. Der Fortschritt wurde in den philosophischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fächern gesehen. Da die dazu gehörende Literatur auf Französisch verfasst war, war diese Sprache ein Muss.

Aus all den oben ausgeführten Gründen wurde der Französischunterricht in den Schulen entweder aufrechterhalten oder neu eingeführt. Seine Integration liess in Preussen und anschliessend Deutschland lange auf sich warten, galt aber gegen 1800 als abgeschlossen.

Einfluss der Kriege auf den Französischunterricht

Nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) stieg Preussen zu einer europäischen Grossmacht auf und gewann an Einfluss in den anderen deutschen Gebieten. Diese orientierten sich unter anderem an dessen Schulsystem. So wurden nun die Gelehrtenschulen direkt dem Staat und nicht mehr den einzelnen Ortschaften unterstellt und die Schulabschlüsse vereinheitlicht.

Frankreich, das den Krieg verloren hatte und viele seiner Überseegebiete an Grossbritannien hatte abgeben müssen, hatte an Ansehen und Autorität verloren. Der Patriotismus Preussens wurde gestärkt. Man fing an, über die deutsche Sprache als Bestandteil der deutschen Kultur nachzudenken. Es wurde nun klar zwischen der deutschen und französischen Kultur differenziert. Dennoch wurde Französisch in den Fächerkanon der deutschen Schulen integriert und als Teil der Maturitätsprüfung staatlich vorgegeben. Diese Politik sollte sich als nützlich erweisen, als Napoleon zwanzig Jahre später seine Expansionspolitik in Europa vorantrieb.

Sein Einfluss reichte bis zu den Grenzen Preussens. Mit sich brachte er die Werte und Gesetze des postrevolutionären Frankreichs, insbesondere den Code civil. Die linksrheinische Region wurde zum französischem Staatgebiet erklärt und Französisch theoretisch zur Schulsprache. Die Gebiete des Rheinbundes wurden von seinem Bruder Jérôme als Protektorat geführt. Dessen Ziel war es ein zentralgeführtes und modernes Berufsbeamtentum aufzubauen, in dem Amts- und/oder Öffentlichkeitssprache Französisch war. Das setze ein einheitliches Bildungssystem voraus, bei dem Französisch als Pflichtfach eingeführt wurde.

Durch die Dominanz der französischen Sprache entstand ein stark ausgebauter Privatunterricht, als Ausdruck eines von «unten» gesteuerten Bedürfnisses die Sprache zu lernen. Interessant anzumerken ist, dass vor allem die kleineren Gelehrtenschulen erpicht waren, das Schulfach Französisch als erstes zu integrieren, um ihr Prestige aufzuwerten. Somit waren sie in der Lage mit den renommierteren Schulen zu konkurrenzieren.

Somit war die Einführung des Französischunterrichts in die deutschen Staatsschulen abgeschlossen.

Literaturverzeichnis:

Kuhfuss, Walter. 2014. Eine Kulturgeschichte des Französischunterrichts in der frühen Neuzeit: Französischlernen am Fürstenhof, auf dem Marktplatz und in der Schule in Deutschland. Göttingen: V & R unipress.

Photo by Corina Rainer on Unsplash

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