«nicht geSITZT, sondern?» – Korrektives Feedback im DaZ-Unterricht [Interview]

Wer bereits einmal eine fremde Sprache gelernt hat, weiss, dass dies ohne Fehlermachen nicht möglich ist. So gehören grammatikalische oder semantische Fehler zum Alltag der Lernenden und Lehrenden. Doch wie sieht ein lernförderlicher Umgang mit diesen Fehlern aus? Empirische Evidenz belegt, dass korrektives Feedback das Lernen einer Zweit- oder Fremdsprache unterstützt. Der Grossteil der Forschungsarbeiten fokussiert jedoch auf den Zweitspracherwerb von jugendlichen oder erwachsenen Lernenden. Darüber, wie jüngere Schüler*innen mit korrektivem Feedback umgehen, ist erst wenig bekannt. Dasselbe gilt für die emotionale Befindlichkeit junger Zweitsprachlernender in Fehlersituationen. Katja Schlatter nimmt sich in ihrer Dissertation dieser Forschungslücke an und geht der Frage nach, wie DaZ-Schüler*innen der 2. und 3. Primarklasse mit verschiedenen korrektiven Feedback-Typen im DaZ-Unterricht umgehen und wie sie zum korrektiven Feedback eingestellt sind. Ein Interview.

10 Jahre Unterrichtserfahrung in DaZ- Aufnahmeklassen, ein Studium an der Universität Zürich in pädagogischer Psychologie sowie deutscher und türkischer Linguistik und eine Tätigkeit als Dozentin im Bereich DaZ an der PHZH: Katja Schlatters Interesse für Deutsch als Zweitsprache ist ungebremst. In ihrem Dissertationsprojekt, welches sie im Mai eingereicht hat, präsentiert sie die Ergebnisse von videobasierten Unterrichtsbeobachtungen, introspektiven Interviews sowie Leitfadeninterviews, allesamt durchgeführt in sechs verschiedenen DaZ-Gruppen auf der Unterstufe. Die Datenauswertung macht deutlich, dass eine Aufforderung zur Selbstkorrektur von Fehlern über ein erwerbsförderlicheres Potenzial verfügt als die oft praktizierte implizite oder explizite Fremdkorrektur. 

CeDiLE: Was versteht man unter «korrektivem Feedback»? Welche Formen lassen sich ausmachen?

Beim korrektiven Feedback geht es darum, dem Gegenüber eine Rückmeldung zur Angemessenheit oder Korrektheit seiner Äusserung zu geben. Dies geschieht im Rahmen der Formfokussierung (Focus on Form). Man unterscheidet zwischen Fremdkorrekturen (durch die Lehrperson oder Peers) und Selbstkorrekturen (durch den*die Schüler*in).

Unterrichtsstudien verschiedener Länder weisen den «Recast», d.h. eine Fremdkorrektur in Form einer impliziten Reformulierung durch die Lehrperson, als häufigsten Feedback-Typ aus. Das zeigte sich auch in meiner Studie. Wichtig ist die Unterscheidung von isolierten und integrierten Recasts, wie sie in konversationsanalytischen Untersuchungen herausgearbeitet wurde. Während isolierte Recasts exponiert und disruptiv eingebracht werden, unterbrechen integrierte Recasts den Gesprächsverlauf nicht. Die Korrektur wird in die inhaltliche Gesprächsfortsetzung integriert und damit kaschiert. Eine weitere Form der Fremdkorrektur ist die explizite Korrektur. Beispiele hierzu:

Isolierter Recast:

S: «Ich gehe Schwimmbad.»

LP: «ins Schwimmbad –» (Intonation bleibt in der Regel schwebend, Rezeptionssignale werden bis nach der schüler*innenseitigen Wiederholung der Korrektur zurückgehalten)

Integrierter Recast:

S: «Ich gehe Schwimmbad.»

LP: «Ach wirklich? Ich gehe heute auch ins Schwimmbad.»

Explizite Fremdkorrektur:

S: «Ich gehe Schwimmbad.»

LP: «Hier fehlt noch etwas: Ich gehe ins Schwimmbad.»

Im Gegensatz dazu wird dem*der Schüler*in bei einer Aufforderung zur Selbstkorrektur lediglich signalisiert, dass etwas falsch war, die korrekte Form wird jedoch nicht direkt angeboten. Oft wird die korrekte Form im Verlauf eines Aushandlungsprozesses von den Lernenden und der Lehrperson ko-konstruiert. Aufforderungen zur Selbstkorrektur werden in der anglophonen Fachliteratur als «Prompts» bezeichnet.

Person 1: «Ich gehe Schwimmbad»

Person: 2: «Achtung. Ich gehe …?»

Was war der Auslöser für Ihre Themenwahl? Wieso gerade korrektives Feedback?

Das Thema «korrektives Feedback» hat mich bereits während meiner Lizenziatsarbeit an der Universität beschäftigt. Damals habe ich Schüler*innen der 5. und 6. Klassen untersucht. Bei meiner Arbeit als Dozentin im CAS DaZ stelle ich fest, dass dieser Bereich DaZ-Lehrpersonen stark interessiert. Kaum eine Lehrperson meint, das Erteilen von korrektivem Feedback sei «easy». Es gibt kein einfaches Rezept, das sich überall anwenden lässt. Das korrektive Feedback muss der Altersstufe und dem Sprachniveau angepasst werden. Und je jünger die Kinder sind, desto weniger Forschung gibt es dazu. Für den Kindergarten z.B. sucht man vergeblich nach Forschungsliteratur zum Thema.

Welche Fragestellungen haben Sie formuliert?

Ich habe insgesamt sieben Forschungsfragen formuliert. Es würde jedoch den Rahmen dieses Interviews sprengen, auf alle Fragen einzugehen. Ich habe mich vordergründig darauf fokussiert, welche Interaktionsmuster sich in Folge der verschiedenen korrektiven Feedbacks beobachten lassen, inwieweit die DaZ-Lernenden ihre Fehler bzw. das korrektive Feedback am Folgetag wahrnehmen und was die DaZ-Lernenden zu ihren Einstellungen zum korrektiven Feedback zu sagen haben.

Wie sind Sie vorgegangen, um diese Fragen beantworten zu können?

Aufgrund der Komplexität des Phänomens habe ich verschiedene Methoden kombiniert. Zunächst habe ich 6 x 2 Lektionen in fünf DaZ-Gruppen und einer DaZ-Aufnahmeklasse gefilmt und konversationsanalytisch ausgewertet. Parallel dazu habe ich videostimulierte introspektive Interviews geführt, um das Noticing (bewusste Wahrnehmung der Korrektur) und kurzzeitige Lerneffekte zu erheben. Dazu kommen Leitfadeninterviews mit dem Ziel, die Einstellungen der Lernenden zu erheben. Als Hintergrundinformationen wurden darüber hinaus einerseits Sprachstandseinschätzungen erhoben und andererseits Leitfadeninterviews mit den DaZ-Lehrpersonen sowie eine schriftliche Befragung mit den Eltern durchgeführt.

Könne Sie die wichtigsten Resultate zusammenfassen?

Die verschiedenen korrektiven Feedback-Typen führen zu unterschiedlichen Beteiligungsformen seitens der Lernenden, was den Anforderungsgehalt und die Verarbeitungstiefe angeht. So ermöglichen Fremdkorrekturen den Lernenden bloss eine rezipierende oder günstigstenfalls replizierende Rolle im Reparaturprozess. Selbstkorrekturen erfordern im Gegensatz dazu eigenaktivere und kognitiv anspruchsvoller Formen der Beteiligung. Ein weiterer Vorteil von Prompts ist, dass die Lehrperson das Gelingen der Formfokussierung laufend einschätzen und bei Bedarf weitere Unterstützung anbieten kann. Wird nach einer Fremdkorrektur die angebotene Korrektur von den Lernenden nicht wiederholt, bleibt dagegen offen, ob sie tatsächlich auf die problematische Form fokussiert haben. Aus diesen Beobachtungen resultiert für Prompts ein höheres erwerbsförderliches Potenzial als für Fremdkorrekturen.

Um die Formfokussierung sicherzustellen, empfiehlt es sich, die Korrektur mit einer gewissen Exponiertheit und Disruption (Unterbrechung) einzubringen. Wird der Gesprächsverlauf nicht unterbrochen, gelingt es den Lernenden bedeutend weniger, ihre Fehler bzw. deren Korrektur wahrzunehmen. Dabei zeigen meine Daten, dass der rote Faden des Gesprächs nicht verloren geht. Die DaZ-Schüler*innen konnten ihren Beitrag also nach Abschluss der Reparatur ohne sichtbare Schwierigkeiten fortsetzen.

In der Fachliteratur wird zuweilen die Vermutung geäussert, dass junge Lernende mit der Selbstkorrektur überfordert sein könnten. Dies widerlegen meine Daten. Die Kinder in meiner Untersuchung erwiesen sich sowohl im Umgang mit isolierten Recasts als auch im Umgang mit Selbstkorrekturen als kompetent. Spannend ist, dass die Reparaturkompetenz sich auch durch die kognitive Beteiligung der zuhörenden Mitschüler*innen zeigt. Die Kinder konnten also nicht nur eigene Fehler korrigieren, sondern beteiligten sich auch an der Reparatur «fremder» Fehler. 

Die Analyse der videostimulierten introspektiven Interviews hat ergeben, dass die Lernenden in zwei Dritteln aller Fälle bemerkt haben, dass sie korrigiert wurden. In den anderen Fällen wurde die Korrektur nicht wahrgenommen. In diesen letzteren Fällen wurde die Korrektur als integrierter Recast durchgeführt. Die Integration der Korrektur in eine andere Sprachhandlung scheint die Wahrnehmung der Korrektur also erschwert zu haben.

Mit Blick auf kurzzeitige Lerneffekte lässt sich sagen, dass die Schüler*innen in rund zwei Dritteln der untersuchten Fälle am Folgetag besser in der Lage waren, die korrekte Form infolge eines Prompts selbst zu bilden.

Schliesslich zeigen die Leitfadeninterviews, dass die befragten DaZ-Schüler*innen korrektives Feedback stark befürworten und ihm eine grosse Bedeutung im Sprach­lern­prozess zuschreiben. Dabei ziehen sie die Gelegenheit zur Selbstkorrektur einer Fremdkorrektur vor. Hervorzuheben ist jedoch, dass sie korrektives Feedback nur in Gruppen oder Klassen erhalten möchten, in denen nicht ausgelacht wird. Es muss also zuerst eine Vertrauensbasis zwischen der Lehrperson und den Lernenden sowie zwischen den Lernenden geschaffen werden.

In Ihrer Studie untersuchen Sie Primarschülerinnen und -schüler auf der Unterstufe. Lassen sich Ihre Ergebnisse auch auf ältere Lernende übertragen?

Ein Teil davon sicher. Die Metaanalyse von Lyster und Saito (2010, berücksichtigt waren Lernende ab 10 Jahren bis Erwachsene) weist für Prompts signifikant höhere Lerneffekte als für Recasts aus. Mein Postulat, dass Prompts über ein höheres erwerbsförderliches Potenzial verfügen, lässt sich also vermutlich auch auf den L2-Unterricht mit älteren Lernenden übertragen. Für die Generalisierung der Ergebnisse zum Noticing, also zur bewussten Wahrnehmung der Korrektur, muss das Alter und die Schulerfahrung der Lernenden sicher stärker mitberücksichtigt werden. Mit Blick auf die Einstellungen der Zweitsprachlernenden zu korrektivem Feedback zeigen auch Studien, die ältere Lernende berücksichtigen, dass korrektives Feedback durchaus erwünscht wird (z.B. Li 2017, in Li & Vuono 2019, 99; Lyster, Saito & Sato 2013). Ausschlaggebend für eine Übertragung erscheint mir, dass eine positive Fehlerkultur etabliert ist. Dies war in den von mir untersuchten DaZ-Gruppen gegeben.

Was müssen (DaZ-)Lehrpersonen in Bezug auf das korrektive Feedback beachten? Können Sie ihnen aufgrund Ihrer Studie Ratschläge mit auf den Weg geben?

  • Besprechen Sie mit ihrer Klasse, dass Fehler­machen dem Lernen allgemein und dem Sprachlernen im Besonderen inhärent ist, und erkundigen Sie sich regelmässig, wann und auf welche Art und Weise ihre Schüler*innen korrektives Feedback erhalten möchten.
  • Probieren Sie verschiedene Feedback-Typen aus, insbesondere verschiedene Moves, um eine Selbstkorrektur zu initiieren.
  • Haben Sie sich in der Unterrichtsinteraktion entschieden, einen Fehler zu bearbeiten, bringen Sie das korrektive Feedback offen und deutlich ein.
  • Wenn die Chance besteht, dass die Schüler*innen selbst etwas zur Reparatur beitragen können, initiieren Sie mit einem Prompt eine Selbstkorrektur. Dies ermöglicht den Lernenden eine anforderungsreichere und eigenaktivere Beteiligung. Wahrscheinlich werden durch den Prompt weitere mithörende Peers kognitiv aktiviert und beteiligen sich an der Formver­handlung.
  • Wenn keine Chance besteht, dass die Schüler*innen etwas zur Reparatur beitragen können, bringen Sie die Korrektur selbst mit einem isolierten Recast ein. Reformulieren Sie das problematische Element in korrekter Form. Ihre Intonation lassen Sie dabei am Turn-Ende schwebend, um die Erwartung einer Wiederholung zu signalisieren. Halten Sie Rezeptions- Evaluierungssignale («Aha», «Gut») bis nach der schüler*innenseitigen Wiederholung der Korrektur zurück.
  • Möchten Sie einem Fehler dagegen kein Gewicht gegeben, integrieren Sie die Korrektur in die laufende Sprachhandlung (mit einem integrierten Recast). Damit besteht die Chance, dass die Schüler*innen die Korrektur einer problematischen Äusserung hören. Ob es jedoch tatsächlich gelingt, ihre Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment vom Inhalt auf die Form zu lenken, bleibt offen.

Weitere Tipps, die nicht direkt mit meiner Studie in Verbindung stehen:

Ich empfehle L2-Lehrpersonen, sich bereits im Rahmen der Lektionsplanung Gedanken darüber zu machen, wie korrektives Feedback in den verschiedenen Unterrichtssequenzen eingesetzt werden soll: Auf welche Fehler-Typen soll prioritär fokussiert werden? Wie viel Gewicht soll dem korrektiven Feedback gegeben werden? Und als Konsequenz davon: Welche Feedback-Typen sollen prioritär eingesetzt werden? Tritt im Unterrichtsgespräch ein Fehler auf, muss sich die Lehrperson schnell entscheiden, ob und wie sie darauf reagieren soll. Dies gelingt besser, wenn sie sich im Voraus auf das korrektive Feedback vorbereitet hat.

Können Sie bereits mögliche weiterführende Projekte skizzieren?

Die Erkenntnisse aus meiner Arbeit lasse ich bereits laufend in meine Weiterbildungsangebote für DaZ-Lehrpersonen an der PHZH einfliessen. Ein Grossteil der Teilnehmenden unserer Weiterbildungs-angebote unterrichtet DaZ im Kindergarten. Es würde mich interessieren, den Umgang mit korrektivem Feedback bei diesen jungen Schüler*innen zu untersuchen.

Eine weitere Frage, die mich umtreibt, betrifft die Vermittlung von explizitem Sprachwissen. Meine Studie hat aufgezeigt, dass die Lehrpersonen im untersuchten DaZ-Unterricht selten sprachliche Prinzipien explizit thematisierten und kaum Fachbegriffe einsetzten. Ich frage mich, ob sich durch die Auseinandersetzung mit explizitem Sprachwissen – stets in enger Verbindung mit dem Sprachgebrauch – eine Ressource bilden könnte, die den DaZ-Erwerb junger Schüler*innen begünstigt.

Konkret geplant ist aber noch nichts. Zuerst muss ich nun meine Dissertation erfolgreich verteidigen!

Literaturangaben:

Li, Shaofeng und Alyssa Vuono. 2019. «Twenty-five Years of Research on Oral and Written Corrective Feedback in System.» System 84: 93–109.

Lyster, Roy und Kazuya Saito. 2010. «Oral Feedback in Classroom SLA: A Meta-Analysis.» Studies in Second Language Acquisition (32): 265–302.

Lyster, Roy, Kazuya Saito und Masatoshi Sato. 2013. «Oral Corrective Feedback in Second Language Classrooms.» Language Teaching (46, 1): 1–40.

Photo from Kenny Eliason on Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert