Künstliche Intelligenz: Was bedeutet dies für den Fremdsprachenunterricht? [ADLES Séance thématique]

Künstliche Intelligenz, insbesondere Textgeneratoren und voice-to-voice Übersetzer, werden in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht heiss diskutiert. Stehen wir am Anfang tiefgreifender Veränderungen im Fremdsprachenunterricht oder vielleicht doch eher auf dem Gipfel der überzogenen Erwartungen?

Am 8. September fand in Brugg die jährliche Séance thématique der ADLES (Verband Fremdsprachendidaktik Schweiz) statt, dieses Jahr zum Thema künstliche Intelligenz und deren Implikationen für den Fremdsprachenunterricht. Ziel dieser Veranstaltung war es, aktuelle Einblicke in den Einsatz von KI-Technologien an Hochschulen und Schulen sowie der fremdsprachendidaktischen Forschung zu erhalten, Chancen und Grenzen zu diskutieren und sich über aktuelle Praxen an den verschiedenen Hochschulen im Umgang mit KI auszutauschen. Rund 23 Dozierende aus verschiedenen Hochschulen nahmen an diesem angeregten Austausch teil.

Zunächst traf sich die SIG «Ausbildung und Weiterbildung der Fremdsprachenlehrpersonen» wo sich Dozierende aus verschiedenen Hochschulen zum Umgang mit KI an ihren Hochschulen (in den Fremdsprachenkompetenzkursen, bei Leistungsnachweisen etc.) sowie auch zur Nutzung von KI im Fremdsprachenunterricht auf den Zielstufen austauschten. Dabei war eine klare Ambivalenz zu spüren. Einerseits sahen die Teilnehmenden klare Chancen im Einsatz von KI an Schulen und Hochschulen, so z.B. auch für den Umgang mit Leistungsheterogenität, individualisiertem sowie selbstreguliertem Lernen.

Andererseits wurde auch viel über die Gefahren von Manipulation, deep fake und fehlendem Datenschutz diskutiert. Hervorgehoben wurde auch, dass KI nichts Neues ist und in Form von Übersetzungstools und dergleichen schon länger präsent ist, wir als Ausbildner*innen jedoch kaum darauf reagiert haben und uns nun mit der breiten Verfügbarkeit von Textgeneratoren wie ChatGPT dazu gezwungen sehen uns Gedanken darüber zu machen, wie ein sinnvoller Fremdsprachenunterricht MIT diesen Tools aussehen soll.

Anschliessend haben zwei Expert*innenreferate die Thematik von KI im Fremdsprachenunterricht beleuchtet.

Prof. Dr. Caroline Lehr, Professorin für Übersetzungswissenschaften am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW hat über Chancen und Herausforderungen von Machine Translation Literacy für den Sprachunterricht gesprochen. Im Zentrum der Ausführungen stand das Konzept der KI literacy – der Fähigkeit KI informiert und kompetent nutzen zu können – als Kompetenz, die für den Sprachunterricht in Zukunft relevant sein wird. Dies bedingt, dass Sprachlehrende und -lernende verstehen, was hinter Textgeneratoren oder maschinellen Übersetzungstools steckt, nämlich grosse Korpora. Es ist auch wichtig, dass sie verstehen, dass diese Tools nach dem Prinzip ‘garbage in – garbage out’ funktionieren. Das heisst, wenn man das Tool mit schlechten Daten füttert, kommen auch schlechte Ergebnisse heraus. Diese Gefahr ist insbesondere bei Systemen, die von der breiten Öffentlichkeit uneingeschränkt gefüttert werden, gross. Als Fremdsprachenlehrpersonen und -dozierende sollten wir unsere Schüler*innen und Studierende auch auf Probleme von KI produzierten Texten wie fehlende Genauigkeit, gender bias oder false fluency aufmerksam machen und ihren kritischen Blick auf den Output trainieren. Die Kernaussage von Prof. Dr. Lehr war, dass wir KI als ein Werkzeug ansehen müssen, dass uns beim Denken hilft und nicht als ein Gesprächspartner, auch wenn dies vom interface von ChatGPT suggeriert wird. Am Ende ist der Output eine Wahrscheinlichkeitsrechnung und kommt nicht an menschliches Denken heran. Dabei betont die Referentin mit Nachdruck, dass der Ausdruck ‘neuronales Netz’ für KI irreführend ist, da es nichts mit einem menschlichen neuronalen Netz zu tun hat und grundverschieden ist.

Im zweiten Referat beschäftigte sich Prof. Dr. Stefan Keller, Leiter der Abteilung fachdidaktische Forschung an der PH Zürich, mit automatisierter Textbeurteilung – the good, the bad and the ugly for English teaching and learning. Dabei wird erörtert, wie KI-Werkzeuge sinnvoll im Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden können, um Modelltexte zu generieren und am Textmodell zu lernen, um Ideen generieren zu lassen, die die Schüler*innen prüfen und diskutieren oder um den Wahrheitsgehalt von Ergebnissen kritisch zu reflektieren. Gleichzeitig bergen diese Werkzeuge die Gefahr, dass harte, aufwendige Aufgaben wie Schreiben vollständig ausgelagert und der Maschine überlassen werden und wir dadurch eine vollkommene Abhängigkeit von der Maschine und grossen Tech-Konzernen entwickeln. Der Referent macht auch auf die hohen Umweltkosten aufmerksam, die mit KI einhergehen sowie der rechtlich komplett ungeklärten Datenrechte. Des Weiteren birgt die breite Verwendung von Textgeneratoren die Gefahr einer zunehmenden ‘Bullshitification’ bei welcher riesige Massen an maschinengenierten, überzeugenden, jedoch fachlich inkorrekten oder fragwürdigen Inhalten auf uns zukommen. Daher, so Prof. Kellers Fazit braucht es Authentische Lernsituationen, unterstützende Lehrpersonen und spannende Interaktionen mehr denn je!

Ein roter Faden, der sich durch die ganze Veranstaltung zog, war das Thema der KI literacy. Alle Beteiligten waren sich einig, dass es im Rahmen der Verwendung von KI im Fremdsprachenunterricht und in der Lehrpersonenbildung unsere Verantwortung als Auszubildende ist, die Schüler*innen oder Studierenden zu einem bewussten, reflektierten und gezielten Einsatz der Tools zu befähigen. Dazu gehört, dass diese wissen, wie die Tools funktionieren, wofür sie geeignet sind und wofür nicht (je nach Aufgabe und Kompetenzniveau), was man damit darf und was nicht (rechtliche Aspekte) und wie man als Mensch optimal mit diesen Werkzeugen interagiert. Die Schüler*innen brauchen unsere Expertise in diesem Bereich und es ist wichtig, dass wir uns als Expert*innen einbringen und mitgestalten.

Um es mit den Worten von Prof. Lehr zu sagen:

Es ist eine Zeit, die viele Fragen aufwirft, aber in solchen Zeiten kann man auch mitgestalten. Das ist spannend.

Caroline Lehr

Die Veranstaltung hat gezeigt, dass KI-Werkzeuge viel Potential haben, um Lernprozesse zu unterstützen und begleiten, dass wir und unsere Schüler*innen lernen müssen, diese sinnvoll einzusetzen, dass sich unsere Rolle als Lehrpersonen sowie auch Prioritäten im Unterricht wohl ändern werden, dass KI Werkzeuge Fremdsprachenunterricht oder Fremdsprachenlehrpersonen nicht obsolet machen werden. Diese Werkzeuge sind keine Interaktionspartner so sehr das Interface das auch suggerieren mag. Aus diesem Grund stehen wir vielleicht wirklich am Gipfel der überzogenen Erwartungen oder Befürchtungen im sogenannten «Hype Zyklus».

Referenzen

Delorme Benites, A., & Lehr, C. (2022). Neural machine translation and language teaching : possible implications for the CEFRBulletin Suisse de Linguistique Appliquée2021(114), 47–66.
Filomena Montemarano (2023) Von DeepL zu ChatGPT: Erfahrungen mit KI-Tools aus Sicht einer Fremdsprachenlehrerin. In: Zeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland 2022/23 – 04.
Bilderbuch zum Thema KI für Primarstufe: Inform@21 Kindergarten bis 4. Klasse Bilderbuch Menschine – Set 4 | 1442200 (lehrmittelverlag.ch)

Über die Autorin

Sybille Heinzmann ist Professorin für Englischdidaktik an der Pädagogische Hochschule FHNW und Mitglied des ADLES Vorstands


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