Jedes Jahr organisiert die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des mehrsprachigen Unterrichts in der Schweiz (APEPS) eine Tagung zu einem Thema, das Immersion und Sprachaustausch betrifft. Im Jahr 2022 fand diese Veranstaltung an der Scuola Cantonale di Commercio in Bellinzona statt und befasste sich mit Lehr- und Lernstrategien im zweisprachigen Unterricht. An der Veranstaltung nahmen Lehrpersonen aller Stufen, Dozierende der Pädagogischen Hochschulen, Forscherinnen und Forscher sowie Verbände teil, die diese Ansätze des Sprachenlernens fördern. Das CeDiLE wollte wissen, was man eigentlich über diese Strategien weiss, und sprach mit Emile Jenny, Präsident der APEPS.
CeDiLE: Emile Jenny, du bist seit 2021 Präsident der APEPS, Lehrbeauftragter an der HEP-BEJUNE und deine Doktorarbeit befasste sich mit der Evaluation eines Unterrichtsmodells der reziproken Immersion. Welche Vision hast du von bzw. für die APEPS?
Emile Jenny: Die Gründung der APEPS und ihr Ziel, den zweisprachigen Unterricht in der Schweiz zu fördern, gehen auf das Jahr 1994 zurück. Doch die Herausforderungen sind nach wie vor aktuell. Die Anzahl und die Qualität der zweisprachigen Lehrgänge haben sich gut entwickelt, aber es gibt immer noch viel Raum für Verbesserungen, z. B. bei den spezifischen Lehrmitteln und der Ausbildung der Lehrpersonen. Die APEPS bietet seit fast 30 Jahren Raum für den Austausch von Akteuren aus Politik, Wissenschaft und Bildung. Sie muss als Ressource für alle Einrichtungen identifiziert werden können, die Aktivitäten und Modelle für den zweisprachigen Unterricht einführen oder fördern wollen. In den kommenden Jahren möchten wir unsere Zusammenarbeit mit den Forschungs- und Ausbildungseinrichtungen in diesem Bereich, insbesondere mit den Pädagogischen Hochschulen und den kantonalen Bildungsdirektionen, ausbauen.
Die Anzahl und die Qualität der zweisprachigen Lehrgänge haben sich gut entwickelt, aber es gibt immer noch viel Raum für Verbesserungen, z. B. bei den spezifischen Lehrmitteln und der Ausbildung der Lehrpersonen.
Emile Jenny
Die 28. Jahrestagung der APEPS fand im November 2022 statt und war den Lehr- und Lernstrategien gewidmet. Ihr habt namentlich auch Besuche zweisprachiger Klassen organisiert. Welche – typischen oder unerwarteten – Strategien habt ihr beobachten können?
Wie auch in anderen Immersionskonzepten stellten wir fest, dass die Schüler*innen Freude daran hatten, den Fachunterricht in einer anderen Sprache zu besuchen. Einige Lernende, mit denen wir uns austauschten, gaben an, dass es ihnen keine Schwierigkeiten bereite, dem Immersionsunterricht in Immersion zu folgen. Im Fach Mathematik sagte uns ein Schüler beispielsweise, dass es kein Problem sei, Geometrieunterricht auf Deutsch zu besuchen, da „die Begriffe sowieso neu waren“ und er sie genauso gut auf Italienisch hätte lernen müssen. In Bezug auf die Strategien beobachteten wir Umformulierungen (manchmal in der L2 und manchmal in der L1) seitens der Lehrpersonen, Klärungssituationen (Wiederaufnahme eines bestimmten Begriffs mit Fokus auf die Form) und den Einsatz von Gesten und visuellen (insbesondere digitalen) Hilfsmitteln. Auf Seiten der Schüler*innen stellten wir fest, dass sich die meisten besonders bemühten, in der L2 zu sprechen, und dass die Schulkameradinnen und -kameraden übersetzten und umformulierten, wenn sie nicht weiterkamen.
Was uns wirklich begeisterte, war die Möglichkeit für die Schüler*innen, in fächerübergreifenden Projekten zu arbeiten (insbesondere das Verfassen einer grösseren Arbeit zu einem aktuellen Thema), bei denen Sprachlehrpersonen (für den redaktionellen Teil), aber auch Lehrpersonen für Geographie oder Recht an den klimatologischen oder juristischen Fragen, die sich aus diesen Arbeiten ergaben, mitarbeiteten. Dieses Projekt schien verschiedenen Lernprozessen, sowohl auf sprachlicher als auch auf fachlicher Ebene, einen Sinn zu geben. Die Schüler*innen hielten auch Mini-Referate, die sie in Gruppen vorbereitet hatten, und nutzten grafische Unterstützung.
Wie auch in anderen Immersionskonzepten stellten wir fest, dass die Schüler*innen Freude daran hatten, den Fachunterricht in einer anderen Sprache zu besuchen.
Emile Jenny
Eines der Ateliers der Tagung hatte « Überraschende Überzeugungen betreffend der Wirksamkeit von Fremdsprachlernstrategien von Schüler*innen und ihren Lehrpersonen » zum Thema und stellte die Resultate eines SNF-Projekts von Christine Le Pape Racine vor, der ehemaligen Präsidentin der APEPS. Welches sind diese « Überraschenden Überzeugungen»? Was sagt die Forschung im Allgemeinen über Lehr- und Lernstrategien im zweisprachigen Unterricht aus? Welche Fragen sind noch offen?
Vorauszuschicken ist, dass die Erhebungen in den Jahren 2014/15 in Schulen stattgefunden haben, in denen die Mehrsprachigkeitsdidaktik im Fremdsprachenunterricht erst ganz am Anfang stand. Es handelte sich also nicht um eine Erhebung im bilingualen Unterricht. Es wurden je einige Sprachlernstrategien (Items) zu folgenden Gruppen/Skalen zugeordnet: 1) Strategien zum Hörverstehen, 2) Strategien zum Leseverstehen, 3) Strategien zum Sprechen mit Perfektionsanspruch, 4) Strategien zu spontanem Sprechen, 5) Strategien zum reproduktiven Schreiben (mit Perfektionsanspruch), 6) Strategien zum produktiven Schreiben und 7) Strategien zum Sprachvergleich. In einem Fragebogen haben 300 Schüler*innen am Ende der 6. Klasse und nochmals dieselben in einem echten Längsschnitt am Ende der 7. Klasse, auf einer 4-stufigen Antwort-Skala ihre Zustimmungswerte zur Wirksamkeit der genannten Strategien abgegeben. Dieselben Fragen wurden von den Lehrpersonen (LP) beantwortet (56 LP der 6. Klasse und 72 LP der 7. Klasse).
Die Schüler*innenantworten der 6. Klasse befanden sich alle in einem Wert zwischen 2.50 und 3.00, also eher im positiven Bereich. Die Lehrpersonenantworten unterschieden sich dem gegenüber: Die Strategien betreffend Hören, Lesen, spontanes Sprechen, produktives Schreiben sowie Sprachvergleiche befanden sich bei Werten zwischen 3 und 3.5. Wohingegen diejenigen zu Sprechen und Schreiben mit Perfektionsanspruch Werte zwischen 2 und 2.5 ergaben. Interessant war auch die Entwicklung der Überzeugungen der Lernenden in der 7. Klasse, also nach dem Übertritt in die Sekundarstufe 1. Bei allen Skalen sanken die Schülerüberzeugungen zur Wirksamkeit der Sprachlernstrategien geringfügig, ausser beim Sprachvergleich, wo sie leicht stiegen. Die Lehrpersonen der 7. Klasse erachteten hingegen alle hier erwähnten Lernstrategien als leicht wirksamer als diejenigen der 6. Klasse. Die Unterschiede zwischen den Lehrpersonen der 6. Klasse und ihren Schüler*innen waren also etwas geringer als in der Sekundarstufe 1 aber doch signifikant.
Es fragt sich nun, warum die Lernenden andere Überzeugungen hatten als ihre Lehrpersonen und welche Auswirkungen das im Unterricht hat.
Und zum Schluss: Welche „take home message“ nimmst du als Lehrerbildner aus der Tagung mit?
Für mich ist klar, dass der zweisprachige Unterricht die Entwicklung guter Sprachkompetenzen ermöglicht (zunächst rezeptiv, dann nach und nach produktiv, vor allem mündlich), aber es ist wichtig, über die Art des Unterrichts und die Strategien nachzudenken, die den Schüler*innen in einem reichen Umfeld helfen können, sowohl auf sprachlicher als auch auf fachlicher Ebene. Dies geschieht unweigerlich durch empirische Forschung, Ausbildung sowie Räume für Austausch und gemeinsame Projekte, wie sie die APEPS zu bieten versucht.
Es ist wichtig, über die Art des Unterrichts und die Strategien nachzudenken, die den Schüler*innen in einem reichen Umfeld helfen können, sowohl auf sprachlicher als auch auf fachlicher Ebene.
Emile Jenny
Zum Weiterlesen
Manno, Giuseppe; Egli Cuenat, Mirjam; Le Pape Racine, Christine; Brühwiler, Christian (2020, Hrsg.). Schulischer Mehrsprachenerwerb am Übergang zwischen Primarstufe und Sekundarstufe I, 340 Seiten. Münster: Waxmann Verlag GmbH.
Photo by Joseph Balzano on Unsplash