Drei Fragen an eine Didaktikerin [Interview]

Ausbilderinnen und Ausbilder an Pädagogischen Hochschulen sind häufig sowohl in der Forschung als auch in der Lehre tätig. Diese unterschiedlichen Rollen bedeuten, dass sie ständig über die Verbindungen zwischen Theorie und Praxis sowie über den Kommunikationsbedarf zwischen Lehrenden und Forschenden nachdenken.  Das CeDiLE hat sich mit Stephanie Möckli (PH Freiburg) über diesen reichhaltigen Alltag als Ausbilderin unterhalten.

CeDiLE: Stephanie Möckli, könntest du dich in einigen Worten vorstellen?

Stephanie Möckli: Ich stamme aus einer Lehrerfamilie: Mein Vater war Sekundarlehrer und in der Zwischenzeit sind alle meine 6 Geschwister auf unterschiedlichen Stufen auch im Lehrberuf tätig. Nach meiner Ausbildung als Sekundarlehrerin an der Universität Freiburg schloss ich ein Studium in Anglistik und Germanistik an und erlangte 2004 das Lehrdiplom der Sekundarstufe II. Obwohl ich damals überzeugt war, nie wieder studieren zu wollen, reifte nach 12 Jahren DAF -und Englischunterricht am Gymnase Intercantonal de la Broye die Idee, wieder an die Uni zurückzukehren: Meine Unterrichtspraxis hatte sich zwar weiterentwickelt, doch mein wissenschaftlicher Stand war auf dem der Ausbildungszeit stehengeblieben. Durch die Praxis hatten sich viele Fragen zum Sprachenlernen ergeben, auf welche ich in der Wissenschaft Antworten zu finden hoffte. Daher entschloss ich mich, noch ein Studium in Fremdsprachendidaktik an der Universität Freiburg zu absolvieren, welches ich dieses Jahr nun abgeschlossen habe. Beruflich wechselte ich 2018 an die PH Fribourg / Freiburg, wo ich mit meinen KollegInnen zusammen für die Sprachausbildung DAF unserer französischsprachigen Studierenden zuständig bin. Ab diesem Herbstsemester unterrichte ich auch Englischdidaktik, worauf ich mich sehr freue, da in der Didaktik eine Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis liegt.

Mit diesen verschiedenen Hüten hast du die komplexe Rolle, sowohl empirische Forschung zu betreiben als auch didaktische Ideen zu fördern und umzusetzen. Wie siehst du generell den Umgang mit diesen verschiedenen Rollen? Sollte man sie eher vorsichtig trennen oder können Verbindungen geknüpft werden ?

Die beiden Hüte kann und will ich nicht trennen, da sich die beiden Rollen ergänzen und befruchten. Wissenschaftliche Studien im Bereich der Fremdsprachen- und Mehrsprachigkeitsforschung sind oft ein winziger Ausschnitt einer Realität. Basierend auf deren Ergebnissen lassen sich kaum allgemein gültige Unterrichtsprinzipien ableiten, da sie sich auf einen spezifischen Kontext beziehen: Faktoren wie Alter, Sprachbiografie, Lernkontext und Motivation beeinflussen die Resultate substanziell. Zudem sind die Forschungsresultate oft widersprüchlich. Hierzu ein Beispiel: Die Frage, ob die Form von Wörtern am besten intentional oder inzidentell gelernt werden sollten, beantworten Ellis (1997) und Schmitt (2008) gegensätzlich. Während Ellis überzeugt ist, dass die Form inzidentell gelernt wird, zum Beispiel über das Lesen oder Hören, glaubt Schmitt, dass es eine aktive Auseinandersetzung mit der Form braucht, was auch meine eigene Forschung nahelegt.

Andererseits hat die Forschung verschiedener Fachbereiche auch substanziell zu einem Paradigmawechsel im schulischen Unterricht und damit auch im Fremdsprachenunterricht beigetragen. Seit der Kommunikativen Wende fordert die Didaktik heute einen schüler_innen- und prozessorientierten sowie differenzierten Unterricht. Im Fremdsprachenunterricht steht die Kommunikation als Ziel im Vordergrund und das ist auch gut so. Trotzdem sind solche didaktischen Modelle und Paradigmen nicht in Stein gemeisselt und müssen differenziert angeschaut und angewendet werden. Nach Ludwig Wittgenstein sind Paradigmen «Muster oder Standards, mit denen eigene Erfahrungen verglichen und beurteilt werden» (vergl. Brockhaus, 1998, S. 554). Sie geben also eine Orientierung vor, die aber mit der eigenen Lebenswelt und somit auch der eignen Unterrichtserfahrung kontrastiert werden müssen. Einfache Kommunikation funktioniert schon auf den unteren Kompetenzstufen mit wenig Wortschatz und noch weniger Grammatik. In meiner Unterrichtspraxis beobachte ich jedoch oft, dass sich Lernende (und vielleicht auch Lehrende) auch auf höheren Kompetenzstufen damit begnügen, dass sie mit ihrem Gegenüber in Kommunikation treten können, wobei es aber an der für die Stufe zu erwartenden Differenziertheit und Korrektheit fehlt. Es ist ein grosser Irrtum zu glauben, dass eine Fremdsprache im schulischen Kontext rein durch rezeptive und produktive Kommunikation in schriftlicher oder mündlicher Form gelernt werden kann. Didaktische Prinzipien sind hilfreich und nötig, da sie eine Richtung für die Planung des Unterrichts vorgeben, jedoch müssen sie reflektiert, getestet und gegebenenfalls je nach Lernsituation angepasst oder ergänzt werden.

Didaktische Prinzipien sind hilfreich und nötig, da sie eine Richtung für die Planung des Unterrichts vorgeben, jedoch müssen sie reflektiert, getestet und gegebenenfalls je nach Lernsituation angepasst oder ergänzt werden.

Stephanie Möckli

Die empirische Forschung beeinflusst also die Praxis, welche wiederum Forschungsfragen für wissenschaftliche Studien, insbesondere auch für Aktionsforschung, generiert.

Und in Bezug auf deine eigene Erfahrung: Wie beeinflusst deine Forschung deinen Unterricht und umgekehrt? ?

Meine Forschungsfragen entspringen allesamt der Praxis: Mich interessieren Fragen im Bereich des Fremdsprachenunterrichts rund um die lexikalische Kompetenz und die Lernmotivation sowie im Bereich der Mehrsprachigkeit bezüglich des sprachübergreifenden Bewusstseins. Den Praxis-Hut und die damit verbundenen utilitaristischen Gedanken abzulegen, fällt mir jedoch manchmal schwer, ist aber nötig, um einen objektiven Blick auf Ergebnisse zu bewahren. Zudem bilden sich manchmal aus der Praxis heraus Überzeugungen, die sich durch die Forschung nicht belegen lassen – diese Überzeugungen abzulegen ist aber nicht so einfach!

Natürlich versuche ich auch, Erkenntnisse meiner Forschung in meinen eigenen Unterricht einfliessen zu lassen. So steht in meinen Deutschkursen an der PH die Entwicklung der lexikalischen Kompetenz im Vordergrund – meine armen Studierenden können den Begriff «Wortschatz» wohl nicht mehr hören! Gleichzeitig habe ich einen klaren Bildungsauftrag. Natürlich habe ich eine gewisse akademische Freiheit, doch ich will die Studierenden nicht als ProbandInnen für ein persönliches Forschungsprojekt missbrauchen und riskieren, dass ein Teil von ihnen deswegen die Standards vielleicht nicht erreichen.  

Die persönliche Weiterbildung ist mir sehr wichtig. Ich bin der Überzeugung, dass besserer Unterricht nicht von der Bildungsdirektion angeordnet werden kann, sondern bottom-up implementiert wird. Das heisst, dass ich als Lehrperson mein fachliches und didaktisches Wissen auf dem neuesten Stand halten und meinen Unterricht dahingehend reflektieren und anpassen muss.

Danke Stephanie Möckli!

Literaturhinweise

Schmitt, Norbert (2008): Instructed second language vocabulary learning. Language Teaching Research (12), S. 329-363.

Ellis, Rod (1997): Second Language Acquisition. Oxford: Oxford University Press.

Brockhaus (Hrsg.) (1998): Die Enzyklopädie in 24 Bänden. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus Verlag.

Photo by Priscilla Du Preez on Unsplash

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