Analyse der Qualität des Inputs in den Französisch Lehrmitteln „dis donc! “ und „Clin d’oeil“ [Interview]

Im folgenden Beitrag unterhalten sich Silvia Frank (PH Luzern) und Raphaël Perrin (PH St. Gallen und PH Luzern), der vor kurzem seinen Master in Fremdsprachendidaktik an der Universität Freiburg abgeschlossen hat. Seine Masterarbeit untersuchte zwei aktuelle Lehrmittel für Französisch als Fremdsprache in Bezug auf die Qualität der Grammatikimputs. Seine Antworten liefern wertvolle Informationen über Qualitätskriterien für einen effektiven Grammatikunterricht sowie vielversprechende Ansätze für die zukünftige Vermittlung von Grammatik. Erfahren Sie in diesem Interview mehr über die spannenden Ergebnisse dieser Studie!

CeDiLE: Kannst du kurz zusammenfassen, was du mit deiner Untersuchung erzielen wolltest?

Raphaël Perrin: Mich hat interessiert, wie zwei in verschiedenen Kantonen eingesetzte Lehrmittel für Französisch als Fremdsprache, dis donc! und Clin d’œil (Erstauflage), Grammatik auf der Sekundarstufe 1 vermitteln, genauer gesagt wie gut sie dies tun. Ich wollte in Erfahrung bringen, was es für Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den beiden Lehrmittel-Inputs gibt und inwiefern sie den Kriterien aus der Forschung gerecht werden. Diese Lehrmittelanalyse führte ich exemplarisch für das Thema der reflexiven Verben (z.B. se laver, s’appeler, s’habiller) durch. Die Beschreibung der Inputqualität der Lehrmittel genügte mir allerdings nicht als Forschungsgegenstand; ich wollte auch herausfinden, ob sich die beschriebenen Qualitätsunterschiede in den Testergebnissen von Schüler:innen beim Lösen von darauf abgestimmten Grammatikübungen widerspiegeln.

Was hat dich bewegt, dieses Forschungsthema zu wählen?

Die Qualität des sprachlichen Inputs ist ein Thema, das in meinem beruflichen Alltag sehr präsent war: Einerseits in meiner Rolle als Lehrperson beim Vorbereiten von Unterricht, anderseits in meiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien. Neben diesen persönlichen Berührungspunkten ist es aber auch ein Thema, das in den vergangenen Jahren in der Schweizer Medien- und Forschungslandschaft viel Aufmerksamkeit erhielt. Es gibt verschiedene Studien, die aufgrund der Performanz von Schüler:innen und Interviewaussagen indirekt auf qualitative Stärken oder Mängel der untersuchten Französischlehrmittel hindeuten. Bislang befasste sich jedoch kaum eine Studie mit den eigentlichen Inhalten der betroffenen Lehrmittel, genauer gesagt mit deren sprachlichen Inputs. Da setze ich mit meiner Untersuchung an. Da die Grammatikvermittlung ein Punkt ist, der wiederholt kritisiert wurde, wollte ich die Inputqualität der Lehrmittel aus diesem Blickwinkel betrachten. Die Wahl fiel aus verschiedenen Gründen auf die reflexiven Verben. Zum einen, weil diese in der Forschung in Verbindung mit Lernenden auf basaler Sprachkompetenzstufe bislang kaum untersucht wurden. Das ist interessant, denn rückbezügliche Verben sind bereits früh in alltäglichen kommunikativen Handlungen verbreitet und bereiten den Lernenden oft grundlegende Schwierigkeiten, wie die Wahl des richtigen Reflexivpronomens oder dessen Platzierung. Zum anderen wählte ich dieses Thema auch aus praktischen Gründen und forschungsmethodischen Überlegungen. Es wird in beiden Lehrmitteln zu Beginn des Schuljahrs behandelt, was eine zeitgleiche Untersuchung und bessere Vergleichbarkeit der Testergebnisse der verschiedenen Klassen unterstützte.

Welche Resultate haben dich erstaunt oder überrascht?

Erstaunt haben mich die ähnlichen Ergebnisse der beiden Gruppen beim Pre-Test. Die dis donc! Klassen begegnen dem Thema in der Unité 1 von dis donc! 7, also in der 1. Oberstufe nach zwei Jahren Französischunterricht. Die Clin d’œil Klassen begegnen dem Thema im Magazine 8.1 Noctambule, also im zweiten Jahr der Oberstufe, nach fünf Jahren Französischunterricht. Auch wenn das Thema davor nicht explizit behandelt wurde, hätte ich erwartet, dass sich dieser Startvorteil im Pre-Test deutlicher zeigen würde. Die ähnlich tiefen Leistungen beim Pre-Test und die grossen Fortschritte der beiden Gruppen nach der Arbeit mit dem Lehrmittel unterstreichen die Effizienz einer expliziten Grammatikvermittlung. Die leicht besseren Ergebnisse der dis donc! Gruppe beim Post-Test waren insofern nicht überraschend, als dass dies der Prognose entsprach. So zeigte sich bei der Analyse z. B., dass das Reflexivpronomen se im Input von Clin d’œil im Vergleich zu den anderen Reflexivpronomen hyperfrequent ist. Dies wäre zu vermeiden, da es als einziges verlässlich reflexives Pronomen sowieso schon die Gefahr läuft, zulasten anderer Reflexivpronomen verwendet zu werden. Tatsächlich zeigte sich beim Post-Test, dass die Lernenden der Clin d’œil Klassen mehr dazu neigen, se überzuverwenden, als jene von dis donc!. Beim Pre-Test war das Bild noch umgekehrt.

So zeigte sich bei der Analyse z. B., dass das Reflexivpronomen « se » im Input von « Clin d’œil » im Vergleich zu den anderen Reflexivpronomen hyperfrequent ist. Dies wäre zu vermeiden, da es als einziges verlässlich reflexives Pronomen sowieso schon die Gefahr läuft, zulasten anderer Reflexivpronomen verwendet zu werden. Tatsächlich zeigte sich beim Post-Test, dass die Lernenden der « Clin d’œil » Klassen mehr dazu neigen, « se » überzuverwenden, als jene von « dis donc!« . Beim Pre-Test war das Bild noch umgekehrt.

Raphaël Perrin

Du räumst den Lehrmitteln in deiner Arbeit bewusst viel Platz ein und vernachlässigst die Lehrpersonen als Vermittlerin von Input. Inwiefern ist das gerechtfertigt?

Natürlich kann ich bei meiner Untersuchung aufgrund der limitierten Anzahl von insgesamt acht Klassen den Einfluss der Lehrperson bei der Vermittlung von Inputs nicht ganz ausklammern. Die Tatsache, dass die Clin d’œil Klassen trotz leicht besserer Ergebnisse beim Pre-Test bei allen Messungen überholt wurden, deutet für mich aber schon darauf hin, dass die Qualität des sprachlichen Inputs in den Lehrmitteln eine wichtige Rolle spielt.

Was bedeuten deine Ergebnisse konkret für den Französisch(grammatik)unterricht? Wie wirst du in Zukunft die rückbezüglichen Verben im Unterricht thematisieren?

Die Auseinandersetzung mit der Inputqualität für das Erlernen grammatikalischer Strukturen hat meinen Blick auf ein Lehrmittel natürlich verändert und ich beachte einiges mehr, wenn ich Grammatik auf der Zielstufe vermittle. Ein erster Ausgangspunkt ist immer, was die Lernenden für die Verwendung des sprachlichen Phänomens können bzw. wissen müssen, welches die Schwierigkeiten sind und inwiefern der sprachliche Input, die Erklärungen und Übungen den Lernenden dazu eine Hilfe sind. Im Kontext der Reflexivpronomen werde ich künftig sicher die Frequenzeffekte im Hinterkopf behalten und darauf achten, dass das Reflexivpronomen se im Input nicht zu dominant ist. Auch sollten Übungen vorkommen, bei denen die Lernenden explizit über die Position des Reflexivpronomens nachdenken müssen.

Im Kontext der Reflexivpronomen werde ich künftig sicher die Frequenzeffekte im Hinterkopf behalten und darauf achten, dass das Reflexivpronomen „se“ im Input nicht zu dominant ist. Auch sollten Übungen vorkommen, bei denen die Lernenden explizit über die Position des Reflexivpronomens nachdenken müssen.

Raphaël Perrin

Was bedeuten deine Ergebnisse für die Lehrpersonenausbildung?

Es scheint mir wichtig, dass die Rolle des sprachlichen Inputs auch in der Ausbildung angehender Lehrpersonen thematisiert wird – einerseits für die Arbeit mit dem Lehrmittel, aber auch, um sie bei der Zusammenstellung von Unterrichtsmaterialien und bei ihrer eigenen Sprachproduktion auf wichtige Aspekte zu sensibilisieren. Das Thema Inputqualität geht natürlich weit über das Erlernen eines einzelnen Grammatikthemas hinaus. Es geht um ein Bewusstsein dafür, dass der sprachliche Input für das Erlernen der Fremdsprache eine entscheidende Rolle spielt – sei es für die Aussprache, für den Wortschatz, oder sonstige Aspekte der Fremdsprache. Dies gilt insbesondere fürs Französisch, mit dem die Lernenden ausserhalb des Schulzimmers wenig Kontakt haben. Deshalb ist es umso wichtiger, dass der Qualität des fremdsprachlichen Inputs eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Die im Kontext von Leistungsnachweisen und Praktika vorbereiteten Inputs und Unterrichtsmaterialien bieten sich dafür gut an.

Es scheint mir wichtig, dass die Rolle des sprachlichen Inputs auch in der Ausbildung angehender Lehrpersonen thematisiert wird – einerseits für die Arbeit mit dem Lehrmittel, aber auch, um sie bei der Zusammenstellung von Unterrichtsmaterialien und bei ihrer eigenen Sprachproduktion auf wichtige Aspekte zu sensibilisieren. Dies gilt insbesondere fürs Französisch, mit dem die Lernenden ausserhalb des Schulzimmers wenig Kontakt haben.

Raphael Perrin

Als Lehrmittelautorin interessiert mich natürlich auch von dir zu erfahren, wie zukünftig Grammatikinputs verbessert werden könnten. Oder anders gefragt: Wie siehst du die Zukunft von Grammatikinputs?

Ich glaube, wir haben im Umgang mit Grammatik zwei Extreme erlebt: anfänglich einen starken Fokus auf grammatikalische Formen und deren isoliertes Üben, und in jüngerer Zeit deren Vernachlässigung und die Idee, dass Lernende Grammatik nebenbei aufschnappen. Dass dieses Aufschnappen mit der begrenzten Anzahl Lektionen nicht funktioniert, hat man gemerkt. In neuen Lehrmitteln wird der Grammatik und insbesondere dem Üben daher wieder etwas mehr Raum gewährt. Das scheint mir angesichts der limitierten Anzahl an Fremdsprachenlektionen ein sinnvoller Mittelweg. Wenn ich an die ganze Digitalisierung und den Einzug künstlicher Intelligenz in der fremdsprachlichen Kommunikation denke, würde es mich nicht erstaunen, wenn die Grammatikvermittlung und generell der fremdsprachliche Input künftig thematisch und vom Niveau her stärker an die Bedürfnisse der einzelnen Lernenden angepasst werden.  Man sieht am Beispiel des Tools ChatGPT, dass es bereits möglich ist, innert kürzester Zeit einen sprachlich vereinfachten Text zu einem beliebigen Thema zu generieren, der bestimmten Kriterien entspricht. Insofern scheint es nicht abwegig, dass mithilfe solcher Tools künftig auch massgeschneiderte, also für den Lernstand und die Interessen der einzelnen Lernenden angepasste Inputs generiert werden könnten, die auch Qualitätskriterien wie Frequenzvorgaben berücksichtigen. Auch Online-Lernplattformen bieten immer mehr Möglichkeiten, individuell zu fördern. In diesem Sinne spricht man beim Grammatikinput der Zukunft vielleicht nicht mehr von einem bestimmten Input, sondern von einem variablen, adaptiven Inputangebot. An den in meiner Arbeit angesprochen Kriterien zur Qualität eines fremdsprachlichen Inputs ändert das natürlich nichts – aber neue Technologien könnten es künftig einfacher machen, den fremdsprachlichen Input besser an die individuellen Bedürfnisse anzupassen.

In neuen Lehrmitteln wird der Grammatik und insbesondere dem Üben wieder etwas mehr Raum gewährt. Das scheint mir angesichts der limitierten Anzahl an Fremdsprachenlektionen ein sinnvoller Mittelweg.

Raphaël Perrin

Herzlichen Dank, Raphäel Perrin für deine Auskünfte zu diesem spannenden Thema.


Wer mehr über die Masterarbeit von Raphaël Perrin erfahren möchte, die im Rahmen seines Studiums in Fremdsprachendidaktik verfasst wurde, findet hier die vollständigen Angaben:

Perrin, Raphaël (2022). Analyse de la qualité de l’input pour l’apprentissage de la conjugaison des verbes pronominaux dans les manuels de FLE dis donc! et Clin d’œil [Master Thesis]. Université de Fribourg, Suisse. https://folia.unifr.ch/unifr/documents/324736


Foto von Erik Mclean auf Unsplash

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