Der Verein ADLES (Association en didactique des langues étrangères en Suisse) feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen und beschenkte seine Mitglieder mit einer besonderen «Séance thématique» an der Pädagogischen Hochschule Luzern. Der Anlass begann mit einem interessanten Referat von Prof. Dr. Britta Viebrock (Goethe-Universität Frankfurt), in welchem das Konzept der Nachhaltigkeit für den Kontext des Fremdsprachenunterrichts einerseits kritisch geprüft, anderseits dessen Potenziale und Grenzen der Eignung aufgezeigt wurden. Im Anschluss waren die Teilnehmenden eingeladen, anhand verschiedener Fragestellungen an thematisch passenden Orten in Form eines Postenlaufes in der Stadt Luzern weiter über die Thematik zu diskutieren. Die Teilnehmenden durften den Jubiläumsanlass schliesslich bei einem gemeinsamen Abendessen mit – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – vorwiegend regionalen und saisonalen Produkten ausklingen lassen.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde – doch was bedeutet Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) für den fremdsprachendidaktischen Diskurs? Britta Viebrock beleuchtet zunächst den Begriff Nachhaltigkeit, welcher zusammen mit der englischen Übersetzung sustainability eines der buzz words bilden, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten Eingang in den erziehungswissenschaftlichen und in der Folge auch in den fremdsprachendidaktischen Diskurs gefunden haben. Die von den Vereinten Nationen im Jahr 2015 definierten 17 Bildungsziele nachhaltiger Entwicklung bilden die unterschiedlichen Schwerpunkte von BNE ab. Sie verweisen einerseits auf die globale Verantwortung und lassen andererseits gleichzeitig Freiraum für deren lokale Umsetzung. Ein Spannungsfeld, das sich im Zusammenhang mit BNE immer wieder zeigt, ist sowohl die Welt (zum Besseren) zu verändern als auch (Gutes) zu bewahren.
Auch im Fremdsprachenunterricht zeichnen sich im Zusammenhang mit BNE Spannungsfelder ab. Einerseits bearbeiten wir Themen mit Bezug zu nachhaltiger Entwicklung in den traditionellen Bereichen Sprache, Literatur und Kultur. Auf der Ebene der Sprache in Verbindung mit BNE ergibt sich die Möglichkeit, die Verwendung von Begriffen kritisch zu reflektieren (z.B. climate change vs. climate cathastrophy vs. global warming). Literatur oder die narrative Ebene werden als ein weiterer sinnvoller Ausgangspunkt für die Entwicklung von Bewusstheit für Umweltthemen, Gleichberechtigung oder Inklusion betrachtet. Literatur und BNE treten zum Beispiel beim Lesen und Bearbeiten von sogenannten cli fi (climate change fictions) aufeinander, oder die Schnittmenge von Kultur und BNE verbindet sich in cultural sustainability. Damit ist gemeint, dass der Fremdsprachenunterricht Anlass bietet, globale, zeitgemässe und zukunftsfähige Phänomene zu thematisieren. Dies gelingt zum Beispiel bei der Bearbeitung von relevanten Themen in Zusammenhang mit den Zielkulturen (z.B. indigene Völker, Feste und Feierlichkeiten). Ferner eignet sich auch der bilinguale Unterricht (CLIL), um Themen aus dem Bereich BNE durch die Fremdsprache zu thematisieren.
Die Bearbeitung von relevanten Inhalten im Fremdsprachenunterricht – was wir ja schon seit jeher tun, seit einigen Jahren vielleicht vermehrt in Verbindung mit BNE – legitimiert auch das folgende Zitat von Rivers (1976: 96): «As language teachers we are the most fortunate of teachers, all subjects are ours. Whatever [our learners] want to communicate, whatever they want to read about, is our subject matter.»
As language teachers we are the most fortunate of teachers, all subjects are ours. Whatever [our learners] want to communicate, whatever they want to read about, is our subject matter.
Wilga Rivers (1976)
Andererseits – und bezüglich der angesprochenen Spannungsfelder – gilt an dieser Stelle auch kritisch anzumerken: «Clearly, reading novels won’t save the planet» (Hoydis et al. 2023:1). Oder anders ausgedrückt: Können wir uns an den hochgesteckten Zielen von BNE überhaupt mit den oben genannten Unterrichtsideen annähern oder betreiben wir eher nur eine «Sloganisierung»? Die Gefahr besteht tatsächlich, dass wir uns im Zusammenhang mit BNE – oder auch anderen komplexen, aktuellen und neoliberalen Themen – bei der oberflächlichen Bearbeitung von immer neuen, kleinteiligen Kompetenzanforderungen zu verlieren drohen. Wie viel Innovation und wie viele Neuperspektiven mit all den wechselnden Strömungen und dem vermeintlichen Fortschritt innerhalb welches Zeitraums überhaupt realistisch umgesetzt werden können, ohne Lehrpersonen und Schüler:innen zu überfordern, scheint in diesem Zusammenhang eine weitere ernstzunehmende, jedoch zurzeit noch offene, Frage zu sein. Prof. Dr. Viehbrock schliesst ihr Referat mit einer pragmatischen Haltung. Es ist sicherlich wichtig, dass wir uns der verschiedenen Spannungsfelder im Zusammenhang mit BNE bewusst sind. Wir alle wissen, dass zwischen der Perspektivenänderung und Handlungsänderung ein langer Weg ist. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll, die Sprache als Medium im Fremdsprachenunterricht zu nutzen, um im lokalen Kontext auf Sachverhalte aufmerksam zu machen, die im besten Fall auch global etwas verändern oder bewahren.
Wie viel Innovation und wie viele Neuperspektiven mit all den wechselnden Strömungen und dem vermeintlichen Fortschritt innerhalb welches Zeitraums überhaupt realistisch umgesetzt werden können, ohne Lehrpersonen und Schüler:innen zu überfordern, scheint in diesem Zusammenhang eine weitere ernstzunehmende, jedoch zurzeit noch offene, Frage zu sein.
Das Referat führte mir persönlich auf anschauliche Weise vor Augen, dass die 17 Bildungsziele nachhaltiger Entwicklung für die Auswahl von Themen und Inhalten im Fremdsprachen- oder CLIL-Unterricht zentral sein können. Wichtig erscheint mir dabei, dass diese weitgefassten, globalen Themen lokal mit dem Leben der Schüler:innen in Verbindung gebracht werden. Wie das gelingen kann, lernten wir beim anschliessenden Postenlauf durch die Stadt Luzern beim Besuch des «Kulturhofs Hinter Musegg». Ein Bauernhof, der gemäss eigenen Angaben Nachhaltigkeit lebt. Tatsächlich finden sich dort auf dem Gelände die 17 Bildungsziele nachhaltiger Entwicklung mit lokalem Bezug zum Leben und Arbeiten auf dem Hof. Anhand solcher Beispiele wird BNE greifbar – das sollten wir uns für den Unterricht unbedingt ebenfalls vornehmen.
Referenzen
Hoydis, J., Bartosch, R., & Gurr, J. M. (2023). Climate Change Literacy (1. Aufl.). Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781009342032
Rivers, Wilga (1976). Speaking in many tongues: Essays in foreign language teaching.
Rowley, M. & Viebrock, B. (2021). Nachhaltigkeit und andere Herausforderungen im fremdsprachendidaktischen Diskurs. In: Burwitz-Meltzer, E., Riemer, C. & Schmelter, L. (Hrsg.), Entwicklung von Nachhaltigkeit im Fremd- und Zweitsprachenunterricht. 41. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. (pp.209-216). Narr.
Über die Autorin
Silvia Frank ist Dozentin für Englischdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Mitglied des ADLES Vorstands.
(Wieder-)entdecken Sie das Interview mit Linda Grimm zur Vorstellung der ADLES:
Bildquelle: Wyfelder