Welche Formen des Dialogs und der gegenseitigen Bereicherung bestehen zwischen Praxis und Forschung im Fremd- und Zweitsprachenunterricht?
Auf der Tagung Von der empirischen Forschung zur Praxis im Fremdsprachenunterricht und zurück zeigten Sprachunterrichtende – sei es als Lehrpersonen, Forschende oder Lehrpersonenausbildende –, dass Austausch und Wissenstransfer gewünscht, aktiv gefördert und in viele vielversprechende Richtungen entwickelt werden. Gleichzeitig wurden jedoch auch bestehende Hürden sichtbar.
Die mehrsprachige Tagung wurde vom Netzwerk “English Language Teaching Education” der Pädagogischen Schule Zürich (PHZH) und vom Fachdidaktikzentrum Fremdsprachen (CeDiLE) organisiert, um einen Raum für den Austausch zwischen Ausbildung, Praxis und Forschung rund um das Thema Wissenstransfer zu schaffen. Die Teilnehmenden diskutierten, wie Wissen in verschiedenen Kontexten produziert wird und welche Bedarfe, Möglichkeiten und Herausforderungen sich bei der Vermittlung ergeben.
Wurde das Ziel erreicht? Schauen wir den Ablauf, das Programm sowie die Rückmeldungen von sieben Teilnehmenden an, die zur Tagung befragt wurden.
Beeindruckend war zunächst das Interesse für das Thema der Tagung. Diese verzeichnete fast 120 Teilnehmende, die Hälfte davon mit einem aktiven Beitrag (Vortrag, Poster etc.). Mehrere Interviewpartner:innen bedauerten jedoch, dass Lehrpersonen klar in der Minderheit waren. Allerdings scheint eine eindeutige Zuordnung schwierig, da viele Teilnehmende mehrere Rollen vereinen oder vereint haben: Lehrperson & Forscher:in, Ausbildner:in & Forscher:in, Lehrperson & Ausbildner:in.
Eva Wiedenkeller stellte fest, dass viele anwesende Lehrpersonen auch forschend tätig sind. Fügen wir die Vermutung hinzu, dass viele anwesende Forschende Lehrperson für Fremdsprache ist oder war. Bedeutet erfolgreicher Wissenstransfer also auch, dass die Grenzen zwischen diesen Rollen verschwimmen? Lukas Bleichenbacher beschreibt dies treffend mit dem schönen Ausdruck „eher Forschende und eher Praktizierende“.
Lukas Bleichenbacher beschreibt dies treffend mit dem schönen Ausdruck „eher Forschende und eher Praktizierende“.
Dies ist noch keine Antwort auf die Frage des Wissenstransfers zwischen Personen, die sich in wissenschaftlichen Kreisen der Fremdsprachendidaktik bewegen und Lehrpersonen, die sich eher in anderen Bereichen (andere Fächer, pädagogischer Diskurs, Schulprojekte usw.) engagieren. Wie kann man mehr Fremdsprachenlehrpersonen dazu bringen, sich mit Forschenden auszutauschen? Die Befragten stellen sich die Frage, ob die Kommunikationskanäle, die Wahl von Ort und Zeit für solche Veranstaltungen sowie die Präsentationsformate überdacht werden sollten. Sollen die Lehrpersonen in die Konzeption und Organisation der Veranstaltung einbezogen werden? Sollten nicht die Vorbehalte gegenüber oder das mangelnde Interesse für Forschung bestimmter Lehrpersonen besser berücksichtigt werden? Während Lisa Singh vorschlägt, diese Fragen mit einer Umfrage unter Praktiker:innen zu klären, hebt Malgorzata Barras das Potenzial der Design-Based Research (DBR) hervor. Nicolas Humbert, Deutschlehrer in Genf und seit Kurzem an einem empirischen Forschungsprojekt beteiligt, zeigt eine andere Schwierigkeit auf: „Ich war angenehm überrascht von dieser Bereitschaft [der Forschenden], Hand in Hand mit den Lehrpersonen zu arbeiten. Diese Tagung hat mein Bild der Forschungswelt verändert“. Es gilt also auch, Begegnungen, Kooperationen, Rollen- und Funktionswechsel im Laufe der Karriere zu fördern, um Vorstellungen zu verändern. In einem Punkt sind sich die Stimmen jedoch einig: Die Teilnahme an Debatten, Konferenzen und anderen Aktivitäten, die weiterbilden und zugleich über die Ergebnisse der Forschung informieren, sollte in den Pflichtenheften der Lehrpersonen vollwertig anerkannt werden. Diese Aktivitäten sollten gefördert, entlöhnt und organisatorisch erleichtert werden. In der Forschung ist ja der „Transfer“, das Geben und Nehmen unter Kolleg:innen, verwandten Berufen, dem Nachwuchs etc. wohl Teil des Pflichtenheftes.
Diese Tagung hat mein Bild der Forschungswelt verändert
Nicolas Humbert
Ebenso beindruckend wie die Teilnahme ist das breite Spektrum der besprochenen Aspekte von Wissentransfer und der gewählten Formate: zwei Plenarvorträge, ein Symposium, elf Poster, eine Podiumsdiskussion, zweiunddreissig Kurzvorträge und zwei Workshops. Besonders positiv hervorgehoben wurde die Podiumsdiskussion, vor allem dank der offenen Worte von Jonas Schuhmacher, Lehrperson für Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch auf der Sekundarstufe. Er betonte die Perspektive engagierter Lehrpersonen, deren Interesse nicht primär der Fremdsprachendidaktikforschung gilt. Linda Grimm war besonders an den Präsentationen der Sprachlehrpersonen interessiert. Veronica Sanchez Abchi schätzte die Umsetzung von Forschungsergebnissen in Praxisideen und die „Arbeiten im Bereich des Didactic Engineering […], die zeigen, wie eine forschungsbasierte Reflexion zu einem konkreten Beitrag für den Unterricht wird“. Eva Wiedenkeller erwähnte die vielen Impulse, über die eigene Unterrichtspraxis nachzudenken. Sie betonte aber auch die Schwierigkeiten bei der Übertragung bewährter Praktiken auf unterschiedliche Kontexte.
eine beeindruckende Dynamik im Bereich des Wissenstransfers
Es scheint also, dass alle Teilnehmenden ihren Interessen nachgehen konnten. Was haben wir noch über den Transfer und seine Formen gelernt? Versuchen wir eine Klassifizierung, um anhand der Zusammenfassungen der 49 Beiträge zu erfassen, wie die Vortragenden das Thema „Transfer“ angehen.
Die Referierenden leisten einen Transfer, indem:
- … sie empirische Forschungsergebnisse vermitteln, die nach ihrer Operationalisierung für die Praxis und/oder die Ausbildung nützlich sind.
- … sie Material / ein Instrument / Unterrichtsstrategien für die Praxis gemäss den empirischen Forschungsergebnissen vorstellen.
- … sie sich in empirischen Forschungsprojekten engagieren, die auf einer Zusammenarbeit (im weitesten Sinne) zwischen Praktiker:innen und Forscher:innen basieren.
- …sie Formate für die Lehrpersonenausbildung entwickeln und präsentieren, die Praxis mit theoretischer Reflexion und/oder Forschungsergebnissen verbinden.
- … sie Formate zur Verbreitung von Forschungsergebnissen unter Praktiker:innen anbieten.
- … sie sich für interinstitutionelle Debatten über Aspekte des Themas zur Verfügung stellen (in der Podiumsdiskussion, aber auch während der Präsentationen und in lebhaften Diskussionen in den Pausen)
- …. sie eine globale Reflexion über den Austausch und Transfer zwischen Forschung, Lehre und Ausbildung anstellen und dabei die Bedürfnisse, Möglichkeiten und Schwierigkeiten beleuchten.
Diese Vielfalt zeigt eine beeindruckende Dynamik im Bereich des Wissenstransfers und kreative Ansätze zur Gestaltung der eigenen Rolle in der Fremdsprachendidaktik. Diese sieben komplementären und wichtigen Aktivitäten spiegeln auch die demografische Zusammensetzung eines Kolloquiums wider, das von Forschungs- und Ausbildungsinstituten organisiert wurde.
Wie kann man also den Erfolg des Kolloquiums messen? Wenn man akzeptiert, dass es illusorisch ist, mittels eines Kolloquiums alle Probleme zu lösen, wird deutlich, dass viele gemeinsame Überlegungen zu zahlreichen Themen angestellt wurden: zum Wissenstransfer, zu Interaktionsformen, die Transfer ermöglichen, zu den zu transferierenden Inhalten sowie zur Richtung des Transfers (von der Forschung zur Praxis sowie von der Praxis zur Forschung – auch ein zentrales Thema der Tagung). Die Teilnehmenden zeigten Wege auf, Forschungsmethoden zu überdenken und Praktiker:innen stärker einzubeziehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Tagung zentrale Fragen aufgeworfen hat und zeigte, dass Transferprozesse zwischen Forschung und Praxis viele Facetten haben. Gleichzeitig wurde klar: Es gibt vielversprechende Ansätze, die es weiterzuverfolgen gilt, um den Austausch zwischen Lehrpersonen und Forschenden nachhaltiger zu gestalten.
Wir freuen uns auf weiterführende Überlegungen in einer der kommenden Ausgaben von Babylonia (3/2025)!
Organisationskomitee der Tagung
- Isabelle Affolter, Institut für Mehrsprachigkeit
- Audrey Bonvin, CeDiLE
- Flavia Giurastante, PHZH & PH Ludwigsburg
- Anne-Laurence Jaunin, Institut für Mehrsprachigkeit
- Nora Kündig, CeDiLE
- Susanne Obermayer, Institut für Mehrsprachigkeit
- Michael Prusse, PHZH
- Anita Thomas, Universität Freiburg & CeDiLE